Dienstag, 23. August 2022

medellin in einem

was in europa sich in vier jahreszeiten über ein jahr erstreckt, ist in kolumbien an einem tag
was in bogota sich über viele stadtviertel verteilt, die architektur der kolonialzeit, die villenviertel, die industriezonen oder die wohntürme, das ist in medellin alles in jeder straße.
und wenn kaum der schatten der häuserschluchten zur seite tritt, bricht der wald hervor und zwängt sein grün hinein und lässt es zwitschern und pfeifen von allen seiten und flattern und rauschen in braun, gelb oder blau.
und in einem solchen park des simon bolivar sitze ich zwischen sandlern und pensionisten, liebespaaren und halbstarken und tausche manchen blick mit ihnen und höre ihre gesänge, nachdem ich im cafe einen fruchtsaft getrunken habe inmitten der uniformierten seniorengruppe, die ich zuvor im dom gesehen habe.
mein bus kam statt um sieben erst um halb zwei in der nacht mit träumen, meine mutter hätte mein bett mit mir durchs zimmer gefahren, um zu prüfen, ob alles aufgeräumt sei, und heute bin ich bereits im theater gewesen und besitze zwei tickets für die metro, aber bloß stehplätze

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von bogota nach medellin

jetzt ist es klar und eindeutig:
die welt gehört dem wald.
in allen höhenlagen, die wir befuhren,
die unendlichen serpentinen und steilstrecken,
die kleinen siedlungen und holzbuden entlang der straße, wo kinder im staub spielen
wo frauen auf einer holzkiste sitzen und den jaulenden lastwagen nachblicken, die schwarzen qualm auspressen,
wo männer über offene motorhauben gebeugt stehen oder mit dem schlauch den lieferwagen waschen,
wo junge leute alles mögliche feilbieten zwischen den wagenschlangen, bananen, händyhalterungen, teddybären oder chipssäckchen -
das alles ist nur unter mühen und nur vorläufig dem wald abgerungen, der bereits, während wir uns ausbreiten im gelände, überall seine wurzeln treibt durch die luft und unter dem boden, und immer wieder eine seiner grünen, orangen oder violetten früchte hinunterwirft auf die straße, wo sie aufplatzen und wir darüberfahren und so den alles überragenden einmassieren in unsere wege, dass wir ihn mittragen überallhin, wo er noch nicht ist.
nur vorläufig ist uns eigenes zugestanden von dem, der viel lebendiger ist und zäher und letztenendes unerbittlich, und nur vorübergehend uns verschont bis auf weiteres

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Montag, 22. August 2022

die kirche in kolumbien

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in der sonntagsmesse war die kirche voll, und großteils von familien und jungen leuten!
pater jason osa sagt:
ja, der glaube ist stark in südamerika, er ist normal für uns, tradition, auch wenn sie nachlässt. säkularisierung gibt es auch hier. der pädophilieskandal (in usa und europa) hat auch hier auswirkungen. aber es gibt verbesserungen in der priesterausbildung und in der kontrolle. die kirche ist stark hier und hat wenig probleme.
vertrauen in die kirche?
ja. in die priester und in gott. in den familien ist der glaube sehr präsent. die kirche wird erlebt als den bedürftigen nahe: den armen, obdachlosen, kranken, prostituierten. durch caritas, asyle, heime, aber auch durch soziale programme jeder pfarre, z.b armenküchen.
1968 verkündete die synode von lateinamerika in medellin die option für die armen!
ja, immer. wir müssen zu den armen und zu den reichen gehen. die kirche vermittelt, dass gott zu jedem einzelnen eine beziehung hat, die auch persönlich erfahrbar ist.
spirituelle bewegungen?
ja, viele. z.b. lazos de amor mariano, das viele junge leute anzieht, um eine alltägliche spiritualität zu leben. auch die charismatische erneuerung ist sehr stark hier.
religionsunterricht?
nicht in allen öffentlichen schulen, je nach standort und direktion. aber von der regierung unterstützt und bezahlt.
sekten?
ja, auch hier. leute wollen eine beziehung zu gott auf neuen wegen. das ist eine ernste herausforderung in kolumbien.
esotherik, synkretismus?
ja, stark und wachsend. starkes bedürfnis nach spiritualität, das neue wege sucht. die leute achten wenig auf unterschiede.
indio-theologie?
gibt es, aber nicht sehr stark. heute neue offenheit, neues interesse für die eigene tradition der weltwahrnehmung von indio-kulturen und -religionen.
papst franziskus?
hat riesige bedeutung für uns, kam 2017, starke begegnung mit der regierung, auch für einfache leute.
verheiratete priester? frauenpriester?
nicht so wichtig in lateinamerika. viel wichtiger: die nähe der kirche zu den armen und einfachen leuten. das wäre die hier erhoffte revolution der kirche!

Sonntag, 21. August 2022

aureliano buendita

gleich am anfang erfahren wir vom letzten gedanken des oberst auf dem weg zum erschießungskommando, der ihn in seine kindheit zurückführt, als sein vater ihn mitnahm, um das eis kennenzulernen. damals hatte macondo, vom vater jenseits der hohen berge gegründet, erst zwanzig häuser. melquiades war der biblische name des zigeuners, der das leben von jose arcadio buendia beeinflusste, indem er ihm, wenn er jahr für jahr nach macondo kam, einen magneten, ein alchemistisches labor und einen apparat zur daguerrotypie verkaufte, mit dem arcadio die existenz gottes beweisen wollte. zuletzt hinterließ er ihm seine unleselichen geheimschriften, die arcadio wie sein testament aufbewahrte.
von solchen geheimnissen umgeben wuchs aureliano buendia auf am anfang der welt und wurde wie sein vater eigenwillig und undurchdringlich und schließlich ein krieger, der seinen eigenen tod mehrfach überlebte. trotz unzähliger niederlagen in einem krieg, den keiner verstand, wurde er zu einer nationalen schreckensgestalt, geleitet von einer widersinnigen voraussicht auf die entwicklungen der dinge.
diese geburt einer wirklichkeit aus mindestens zwei gänzlich verschiedenen logiken, als deren hintergrund sich ein land abzeichnet, an das niemand wirklich glaubt, während vorne in macondo dinge zusammentreffen, die nicht zusammengehören, könnte ein gleichnis auf kolumbien sein, als wäre es im urwald gegründte worden, als die menschen noch nicht gestorben sind

(100 tage. kennt jeder in kolumbien)

el dorado

stundenlang über verstopfte straßen aus der stadt hinaus, durch hügelland unter tiefen wolken über immer schmäler werdende straßen immer höher. schließlich auf einem schotterweg bis zum letzten parkplatz auf einer abschüssigen wiese, von ponchotragenden muisca beaufsichtigt und eingewiesen. ein paar holzbuden im nebel, dort bekamen wir auf rauchigem feuer geröstete blutwurst zu essen, während es zu regnen begann. über eine kotige wegstrecke gelangten wir zum eingang des nationalparks und sammelten uns um einen führer.
er zeigte uns heilpflanzen gegen dummheit, vergesslichkeit und einbildung und führte uns in ein schilfhaus zur einweihung.
es wurde eine begegnung mit geheimnisvollen pflanzen, die aufeinander wachsen, und mit falschen und hellsichtigen gedanken, die menschen befallen können.


der see von guatavita sieht aus wie ein vulkankrater, mit wasser gefüllt. die einheimischen muisca erzählen von dem alten brauch, der häuptlingssohn habe dort dem sonnengott gold geopfert und sei selbst, mit goldstaub bedeckt, zur mystischen vermählung ins wasser getaucht.
das befeuerte europäische expeditionen, das wasser abzulassen und am grund nach schätzen zu suchen

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die eigentlichen schätze sind aber natalia und francisco, die mit mir diese erkundung machten

Samstag, 20. August 2022

situationen

nach ein oder zwei stunden fußweg durch die stadtlandschaft den botanischen garten erreicht.
baumgruppen, teiche, holzbrücklein
rosenbeet, umsäumt von blühenden sträuchern
der trompetenbaum, den ich schon am monserrat gesehen habe
etwas schwirrt vorbei
ein junger kalifornier fragt mich, was es da interessantes zu fotografieren gäbe
wir sind im paradies, in überfülle
hinter dem haus gemüsebeete mit knackigen salaten
wer isst das, es gibt nicht einmal eine küche?
dann das tropenhaus
zuerst die hochgebirgszone hinter der thermoschleuse
karge steine, kühle luft, tropfendes wasser, schmales grün
dann die tropenzone:
mangrovenstämme, farn- und moosbewachsen, rinnende bäche, blühendes von allen seiten, dazu ohrenbetäubendes vogelgeschrei, das von den seiten zurückhallt, und der weg schraubt sich in die höhe
und schließlich wüstenzone:
knarrende laute, kakteen und sanddünen, trockene luft
doch als ich hinaustrete und unter den freien bäumen stehe, habe ich ihn entdeckt:
zunächst kann ich die farbe nicht sehen, da er genau vor dem hellen licht am ast sitzt, doch ich habe ihn scharf im bild
und dann stürzt er sich auf die trompetenblüten,
und ich sehe nun im blitzschnellen schwebflug die leuchtend dunkelgrüne farbe und den langen schnabel
dieses leibhaftigen kolibris

das leben erwächst aus situationen
so wie die ganze schöpfung

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Freitag, 19. August 2022

stadtwege

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weite flächen mitten in der stadt, von einem kanal durchzogen
entlang breiter industriestraßen mit radwegen, auf denen rennräder, escooter, mopeds und hundeführer unterwegs sind
nur sonnenseiten
lange fußgängerrampen und brücken über die schnellstraßen
dann eine nachbarschaft mit friseuer, zuckerbäcker, handyverkäufer, cafe, eisenvergitterten vorgärten, in denen ein pkw steht, eine frau auf einem plastikstuhl an der hausecke vor dem offenen laden, keine kinder

neues zu botero

im botero-museum fand ich neue bilder, an denen meine alte interpretation überprüft werden kann.

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überblick

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wer fährt mit der seilbahn auf einen dreitausender, wenn es einen fußweg gibt?
da siehst du:
dutzende von ernsthaft uniformierte polizisten, ranger, motorradpolizisten, locker über den ganzen weg verteilt, stets mit einem händy beschâftigt, die polizistinnen fröhlich flirtend mit den wanderern;
immer wieder einen alten mann in sportkleidung, der über die stufen aufwärts lâuft und mich überholt;
gruppen von teenagern mit roten gesichtern, die alle paar meter stehenbleiben und sich laut unterhalten;
dann und wann ein übergewichtiger mann oder eine schnaufende frau, mit rotem kopf ans mäuerchen gelehnt, die vielleicht eine wette verloren haben und jetzt da hinaufmüssen;
ein blinder mann mit dröhnend lauter seemannsstimme, der gesänge zu lauter kolumbianischer musik ins tal schmettert, von jugendlichen umgeben, die vielleicht seine enkel sind und mir lächelnde blicke zuwerfen, und dabei fortwährend mit dem stock am steinigen weg entlangstochert;
einen muskelbepackten kahlköpfigen mann, der bei jeden schritt in die hocke geht und mit einem froschsprung über die nächste stufe hinaufhüpft, während seine freundin fröhlich hinterhergeht;
derselbe oder ein anderer, abwärts auf einem bein hüpfend;
kinder, die mir flehendliche blicke zuwerfen, während sie ihren eltern hinterherhecheln;
eine dame, die ihr hündchen, in eine decke eingepackt, am arm trägt;
ein junges paar, das sich in deutscher sprache über einen abwesenden mokiert;
an jeder kurve eine junge frau, die mir freundlich einen guten tag wünscht

Donnerstag, 18. August 2022

erster tag

der böige wind bläst mir staub ins gesicht, ich blinzle.
in den windpausen sticht die sonne.
das licht ist sehr klar, beinahe hätte ich gesagt: nordisch.
aber wir sind nahe des äquator.
das stadtleben ist geschäftig, aber nicht eilig. bogota ist eine südliche stadt in gelassenheit. palmen, pinien, die im wind schaukeln, wohnblocks, autohäuser, weiter drinnen einfamilienhäuser, reihenhäuser, diese straßen sind abgesperrt. draußen ziegelatchitektur, freundlich und offen.
mir fällt auf: alle tragen lange hosen, selten ein rock zu sehen,
fast alle mit gesichtsmasken im freien, nur taxifahrer nicht, wohl wegen der schwarzen dieselwolken, die aus uralten lasteagen qualmen.
keine katzen
keine hunde (fast)
kaum vögel, erst in candelaria einige tauben
der ton in den gassen freundlich, selten erregt, erst am späteren abend einige übermütige burschen auf fahrrädern

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Sonntag, 14. August 2022

Botero und die Subversion (als Horizont der überfälligen Kirchenerneuerung)

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Vor Jahren hab ich diesen Maler in Wien kennengelernt.
Bald werde ich ihm in seiner Heimat begegnen!


a.
Jawohl, dieser lateinamerikanische Maler, entschiedener Diener des Gegenständlichen und Konkreten, kann uns Subversion lehren. Auch, wenn viele in ihm den Verehrer der Fülle sehen wollen, der im Überfluss der Formen schwelgt – so glaube ich ihnen nicht. Die feisten Figuren, der schielende Priester mit dem Melonenschirmchen über der gleichfarbigen und gleichförmigen Melone, über eine grünschimmernde Wiese schwebend, die pralle Ballerina, die Kartenspieler mit der nackten Spielerin, der Bi-schof mit den hängenden Schultern und dem Rosenkranz in den Patschhändchen, die stumm ins Leere blickenden Toreros in Festkleidung vor den Stierungetümen: Sie alle erscheinen nicht als Individuen, sondern als Repräsentanten einer Spezies, als selbst-zufriedene Vertreter einer Gattung, die jeweils mit ihnen in ihrer ganzen Lächerlichkeit erscheint, typologisch in der Rundlichkeit der Figuren, starr in der Repräsentation - so wie auf den Schwarzweißfotos des 19. Jahrhunderts Offiziere oder Bürgerfamilien po-siert hatten. Also nicht Individuum, sondern Gattung.

b.
Die außerordentliche Rundlichkeit ist eine überhöhte Körperlichkeit. Geistige Situatio-nen wie die Szene im Priesterseminar oder der Sündenfall, Familienszenen oder Maria mit dem Kinde, werden sosehr vom Körperlichen umlagert, dass das Geistige ver-schwindet. Das ist der erste Schritt der Subversion bei Botero: Der Auszug des Geistes aus der Materie. Deshalb blicken die Figuren so schemenhaft ins Leere, deshalb schielt der Geistliche, deshalb liegt in Adams Blick weder diebische Lust noch Schuldbewusst-sein. Das Feiste der Figuren ist die Abwesenheit des Geistes: da bleiben nur die Fleischberge, am deutlichsten vielleicht bei den Katzen, denen nicht einmal Boshaf-tigkeit zuzutrauen ist. Mario Vargas Llosa lobt die katholische Üppigkeit Lateinamerikas gegenüber dem dürren protestantischen lebensverneinenden Körperideal des Wes-tens. Aber er hat den Figuren zuwenig in die Augen geschaut.

c.
Der nächste Schritt in die Subversion ist auch die Unwirklichkeit der Materie selbst. Wie kann eine so voluminöse Ballerina auf der Zehenspitze balancieren? Und damit man nicht in Versuchung kommen möge, diese Darstellung für surrealistisch oder iro-nisch zu halten: Ihrem Blick sieht man keinerlei Anstrengung an, nicht einmal den Stolz auf die Leistung. Nein, so wie der Geist sich zurückgezogen hat, so ist auch die Materie ihrer selbst entleert. Die Volumina haben kein Gewicht. Weder die Ballerina noch der Stierkämpfer, den der Stier über seine Hörner wirbelt, noch der tote Stier selbst, der durch die Arena geschleift wird, noch der Apfel in der Hand, noch die Leichen und die abgetrennten Gliedmaßen am Boden noch die monströsen Katzen, die im Arm gehalten werden, noch die Vorgänge im Bordell, die sich unterm Blick des Betrachters ins Raum-lose zurückziehen. So viel Haut und nacktes Fleisch, aber keinerlei Eros. Damen bei der Toilette, Männer als Transvestiten, die nackte Frau in der bürgerlichen Herrenrunde, die spielenden Kinder neben der Dirne und ihrem Freier: Das, was neugierig macht, ist das Fehlende, das nicht Dargestellte, und nicht die Nacktheit selbst. Der geistlose Kör-per ist auch kein wirklicher Körper.

d.
Eine weitere subtile Dimension liegt in den szenischen Darstellungen. Der tote Stier, von den vorgeblichen Siegern durch die Arena geschleift, grinst und rollt sich wie ein Schoßhündchen ein. Die geraubte Prinzessin Europa thront auf dem fast gleichfarbi-gen Stier, dem der göttliche Triumph nicht anzusehen ist, eher wirkt er erschöpft oder gar resigniert auf halbem Entführungsweg, während die Entführte den verwandelten Göttervater an den Hörnern packt und wie ein Hutschpferd behandelt. Das Familiäre der Bordellszenen muss genannt werden, obwohl nichts auch nur annähernd Intimes auszumachen ist, wenn volle und leere Teller herumstehen, zwei Paare und einige Kinder sich um das Bett gruppieren, und kaum ein Kontakt zwischen Personen statt-findet: weder Beziehung noch Gewalt, weder Interesse noch Handlung, ja die am Bo-den verstreuten Zigaretten erscheinen am Ende noch redseliger als die Personen selbst.
Dieses steif Herumstehen, das sich ebenso auf den Stierkampfbildern (von denen man doch Grazilität und Behendigkeit erwartet!) findet wie bei posierenden Personen oder bei Familienposen, scheint überall von den Stillleben entnommen zu sein, deren Prä-sentation im vierten Schauraum des BA-Kunstforums wie eine Herzkammer angelegt ist. Dort werden ergraute Ananas-Stücke und in ihre eigene Schale gewickelte Orangen von Wespen umschwirrt, weiße Röslein von einer bauchigen Vase mehr verschlungen als präsentiert; ein knallgrüner Bananenberg auf einem Tischchen inmitten üppiger knallgrüner Bananenstauden dargeboten, sodass der Schauplatz der Szenerie ver-schwindet, als würde das biedere Tischchen im Urwald oder der Urwald in dem Salon fehl am Platz sein; die Picknickdecke, bauchig gefaltet, gibt einen Obstkorb, Früchte auf Tellern und mehrere, mit farbigen Flüssigkeiten halb gefüllte Gläser zu sehen. An einer Tuchecke liegt ein Mann mit geschlossenen Augen, gegenüber halten fleischige Frau-enhände tatkräftig ein weiteres halbvolles Glas sowie eine Zigarette. Aktiv ist die (un-sichtbare) Frau, passiv der Mann, der schläft oder vielleicht tot ist, am Ende vergiftet durch einen der farbigen Säfte. Und wieder kommt der Schauplatz abhanden, denn das Tuch schwebt über der Wiese, ohne sie zu berühren, und erst recht die beiden Figuren, die sich auf das Picknicktuch beziehen, und nicht auf den Hintergrund und Untergrund. Der Inbegriff dieser prangenden Fruchtkörper ist die Birne, die den Schauraum beherrscht. Kollosal prangt die Frucht dort, als würde sie gleich platzen, ihre eigenen Grenzen wie auch den Bildrahmen. Diese unförmigste aller Früchte hat dort, wo der Stengel herausragt, ein ebenso nichtssagendes Gesicht wie die Figuren. Die sackartige Form könnte geradezu umkippen und ihren Inhalt ergießen. Die Ober-fläche beginnt sich bereits aufzulösen, ein Wurmloch, eine Bissstelle und dann ein Würmchen, das vor der völligen Auflösung den Nährboden verlässt.

e.
Die monströse Frucht korrespondiert mit dem Äpfelchen, das ungeheuer beiläufig von Adam und Eva in der Hand gehalten wird. Diese Bildhängung lenkt den Blick auf die Frage, ob diese geistlose und entkörperlichte Präsenz als schuldhaft aufzufassen sei. Das Unbeteiligte im Ausdruck der Stiertöter oder der Geistlichen, des Präsidentenehe-paares oder der Witwe, deren Kinder rund um sie hantieren, ohne dass sie den Über-blick zu haben scheint. Wie kann man so unbehelligt von der Welt verantwortlich sein? So teilnahmslos repräsentieren? Wie ein tumber Schulbub steht Adam da, mit dem Apfel in der Hand. Das ganze Menschengeschlecht hängt an seiner Sünde, und er blickt leer vor sich hin. Ist er ertappt worden und erschrocken? Ist Eva im Bilde über ihre Tat? Ob sie es wissen oder nicht: Es ist ihnen nicht anzumerken. Jede geistige Präsenz ist aus ihrem Antlitz geschwunden, und die körperliche nur mehr ein leeres Prangen. Ja, das ist die Form, die die Schuld angenommen hat. Der leere, nichtssagende Rückzug auf sich selbst, die körperliche Masse. Boteros Figuren sind Wesen, die die Welt verlas-sen haben. Schuldhaft dem Geist entsagt, und selbstgewiss und feist im Körper ver-blieben, der übrig ist. Das allein gibt ein hervorragendes Bild des Menschen im Kos-mos.

f.
Adam und Eva stehen auf steinigem Boden. So war das Paradies? Die fleischige Balleri-na berührt den Boden nur mit der Zehenspitze, die Badende nur mit dem Schuhab-satz, Europa gar nicht, denn sie sitzt auf dem Stier, der durchs Wasser trabt. Der Prä-sident und seine Gattin sitzen auf Pferden, deren Säulenbeine kaum am Boden stehen, auch die Stierkämpfer sind meist zu Pferde, oder es liegt einer ganz unbehelligt un-term Stier, ein anderer liegt wie schlafend auf dem Bocksprünge machenden Unge-heuer. Was hat es mit diesem Boden auf sich?
Das „Erdbeben“ ist ein Tanz schlanker Gebäude zum Glockengeläut, wie Konfetti reg-nen Dachziegel herab, die keinem Dach fehlen, bunt und hell ist die Stadt, aber ein Sternenhimmel umspannt sie. Das ist eine Kosmologie ohne Boden, ohne Oben und Unten, vielleicht schweben die Trümmer, bunter als die Dächer, von denen sie nicht stammen können, vielleicht gibt es gar keine Ordnung mehr. Eine einzige Figur im Bild, aus dem Turmfenster blickend, händeringend, zum Himmel gewandt: Von dort kommt das Schreckliche, dass kein Boden ist, und kein Grund unter den Füßen.
Die Früchte prangen auf Tischen, aber wo stehen diese? Im Nichts. Entweder öffnet sich die Tiefe des Universums dahinter, oder eine weit entfernte Wiese fungiert als Hintergrundkulisse, auf der die Figuren Schatten werfen. Der Priester, der Nuntius: sie scheinen sich mehr mit dem Himmel zu beschäftigen als mit dem Grund, auf dem sie stehen: schützen müssen sie sich. Ein bodenloses Universum zeichnet Botero, einen Kosmos, wo die Dinge aus dem Lot sind.

g.
Warum das alles subversiv sein soll? Nun, es ist die Intelligenz der Darstellung. Es ist das Spiel mit den Bedeutungen, es sind die Fallen, in die der Betrachter tappt, es sind die Winkelzüge, die ihn verführen. Dazu gehört natürlich auch die kluge Bildhängung, die dem Eintretenden gleich das Hinterteil der Dame am Waschtisch entgegenhält. Bo-teros Körper sind abstoßend in ihrer Seelenlosigkeit. Und doch fasziniert ihre Selbst-gewissheit, ihr Blick ohne die Spur eines Selbstzweifels. Das alles umfängt den Betrach-ter. Zwischen Befremdung und Neugier pendelnd, droht er mitschuldig zu werden an der Geistlosigkeit der prangenden Körper, und vielleicht gelingt es manchem, über das Feiste hinwegzusehen und die Gestalten zu mögen. Aber es wird schwer sein, sich nicht die eigene leere Äußerlichkeit einzugestehen, die einem in den Bildern entgegentritt; sich nicht in der Europa zu finden, die an der Verführung Gefallen zu finden scheint, ohne zu begreifen, was mit ihr vorgeht.

h.
Die wahre Probe aufs Verstehen sind aber die Christus-Bilder. Dazu ist zu sagen, dass diese Darstellungen sehr unterschiedlich sind. Ecce Homo aus 1967 zeigt eine rundli-che Figur mit (wie so oft bei Botero) dem Betrachter zugewandten riesigen Knien und Schienbeinen, die in winzige Füßchen münden. Ähnlich endet der breite, füllige Ober-körper in kleinen Kinderhänden, die Spotttrophäen halten. Sie sitzt auf einem würfel-artigen Thron, in ein Tuch gewickelt wie in einen Bademantel. Aber nun der Blick. Die-ser Christus blickt nicht geistlos wie der Torero oder wie Adam. Der Blick ist etwas ab-wärts gerichtet, er schaut vor sich hin, betrübt und wissend. Er ist sich seiner Lächer-lichkeit bewusst. Wenn man mir vorwerfen will, ich würde diese Darstellung von vorn-herein anders beurteilen als die übrigen, dann soll man noch einmal den anderen Fi-guren ins Gesicht sehen. Kann es sein, dass die Ballerina etwas weiß? Oder Adam und Eva? Falls ihnen dämmert, wer sie sind, so zeigen sie es nicht, sondern schließen jedes Bewusstsein in sich ein. Also verschlossen und in sich gekehrt. Dieser Christus aber weiß um die Lächerlichkeit seiner Situation und seines Körpers, in den er hineingera-ten ist. Ich habe noch nie so deutlich gesehen, wie Christus der Sackgasse des Mensch-lichen inne wird, wie er in diesem Körper festsitzt, in den er hineingeraten ist, und der, nach Boteros Diktion, der Körper der Menschen überhaupt ist. Dagegen steht der Christus aus dem Jahr 1999. Der Kopf im Profil, der Blick aufwärts, der Mund geöffnet. Der einzige geöffnete Mund auf den hier ausgestellten Bildern! Der einzige nach oben gerichtete Blick! Und es ist kein Blick ins Leere, keine Abwesenheit. Nein, dieser massi-ge Leidende hat Gott erblickt. Seine Augen leuchten auf. Er schöpft Hoffnung. Er ver-steht. –

Die Kreuzigung(2000) zeigt Christus wieder anders. In stämmiger Breite, nicht mehr weich und hilflos. Er hängt nicht am Kreuz, er steht darauf, auf eigenen Beinen und aus eigenem Entschluss. Die Kartenspieler, der Freier bei Marta Pintuco oder die Tän-zer mögen entschlossen sein, aber dieser Christus ruht in sich. Er lehnt sich ans Kreuz. Die Mundwinkel zeigen nach unten wie überall bei Botero, aber die geschlossenen Au-gen sind friedlich, beinahe nachdenklich. Dieser Christus weiß, was er tut.

i.
Kann man nun die Geistlichen messen mit diesem Christus?
Keineswegs. Leere Blicke, wehleidig (Bischof, 1989), ahnungslos (Spaziergang, 1977; Priesterseminar, 2004), planlos allesamt. Da ist auch kein Selbstbewusstsein auszu-machen: geistlos wie die anderen Figuren bei Botero. Mag sein, dass sie brav sind und gutmütig, vielleicht nützlich, wahrscheinlich fromm. Die meisten halten Frömmig-keitsutensilien in den Händen, Rosenkränze, Bibeln. Mehr noch als die übrigen Figuren sind sie vorhersehbar. Und damit stellen sie am wenigsten von allen Bildern Boteros Karikaturen dar. Denn diese Figuren sind beängstigend real. Stierkämpfer, Tänzer, Bordellbesucher oder Kartenspieler mögen dumpf sein. Aber bei Geistlichen ist das inakzeptabel. Und dieses Dilemma liegt gewiss im traurigen Blick des Ecce Homo. Und ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Die Tränen der Nuestra Senora de Colum-bia (1992) gelten diesen Folgen des Christusgeschehens. Die Madonna im Festgewand und das Kind im Spielgewand blicken auf die kommende Welt, nicht nur auf Leiden und Kreuz, auch auf unsere Zeit hin. Beide stecken im unförmigen Menschenleib, der Sohn hat ihn von der Mutter. Beide sehen der Erlösung dieses Menschenleibes entge-gen, und die grüne Kirsche, die die Mutter als Paradiesfrucht wie eine giftige Beere mit spitzen Fingern hält, ist vielleicht die Zukunft – womöglich die heutige Welt und diese heutige Kirche, so massig und schlaff und harmlos, so ahnungslos inmitten der stum-men Vorgänge. Adam war stumpf gegen die Folgen, die Madonna und ihr Sohn aber könnten Zweifel bekommen, ob es dafürsteht.

Sonntag, 2. Dezember 2012

Interview zu Sara

Biographisch:
Wann wurde das Thema Religion für Sie ein zentrales Thema in Ihrem Leben?

Religion war immer wichtig, soweit ich mich zurückerinnern kann. Aber nicht zentral. In meiner Familie gab es Respekt vor der Religion, vor dem Glauben, vor Gott. Zentral wurde das Thema Religion, als ich mich entschloss, Priester zu werden. Da war ich 25.

War Religion/Kirche in Ihrer Kindheit/Jugend im Elternhaus/Schule von Bedeutung?

Im Gymnasium hatte ich einen Religionslehrer, der auch Priester war. Zu ihm entwickelte ich, besonders nach der Schule, eine freundschaftliche Beziehung.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Libretto für ein Stück mit religiösem Schwerpunkt in der heutigen Zeit, für eine Kirchenoper zu schreiben?

Ich verfolge die Kirchenopern in Ossiach schon längere Zeit. Einerseits bin ich Festivals gegenüber eher skeptisch, weil ich sie einer bürgerlichen Selbstreproduktion verdächtige. Andererseits bin ich viel stärker der abstrakteren Instrumentalmusik verschrieben. Ich dachte aber, wenn es schon diese interessante Form von zeitgenössischem Musiktheater gibt, und dann noch in kirchlichem Kontext, dann muss das genau verfolgt werden. Und dann war ich jedesmal enttäuscht. Nicht von der Musik. Moderne Musik kann große Qualitäten und Erfahrungsräume öffnen, die kirchlicher Verkündigung sehr elementar entgegenkommen. Ich habe diesbezüglich wunderbare Erfahrungen gemacht mit Kompositionsaufträgen, die ich über elf Jahre hinweg regelmäßig vergeben habe. Eigentlich schon länger. Sondern ich war enttäuscht von den biederen und langweiligen Themen. Offensichtlich dachten diese Künstler, Projekte für die Kirche müssten brav und harmlos sein. Und deshalb wollte ich etwas anderes machen. Einerseits mit einem sprachlichen Anspruch. Und andererseits mit einem reflexiven Thema, das hintergründig nicht eine Geschichte vorführt, sondern umgekehrt die Beteiligten selbst!

Wer sind Ihre Vorbilder bezüglich Ihrer Arbeit?

Wichtige Schriftsteller des 20. und 21. Jahrhunderts. Vielleicht Hugo von Hoffmansthal.

Was sind Ihre Ziele und Visionen?

Früher hätte ich gesagt: Die Bibel als ein weises Buch des Lebens darzustellen. Und den christlichen Glauben als ein Durchqueren jeglicher Fraglichkeit. Seit der Aufführung sage ich: Den Menschen in seinem Ringen um Rechtfertigung zu zeigen. Das habe ich an der Reaktion von Beteiligten erkannt.

Haben Sie ein Lebensmotto?
Initiative anstatt Resignation.

Würden Sie sich als religiös bezeichnen?
Natürlich.

Werk:
Welchen Stellenwert hat Kirchenoper in Ihrem Werk?
Nicht den obersten. Es gibt auch andere Kunstformen in meinem Leben.

Was ist für Sie die Definition von Kirchenoper?
Die Verbindung von Musik und szenischer Literatur, zu einem in irgendeinem Sinn religiösem Thema.

Welche Komponisten haben Ihrer Meinung nach am meisten für das Genre Kirchenoper geschrieben?
Wahrscheinlich Olivier Messiaen.

Kennen Sie andere Librettisten, die ein ähnliches Interesse verfolgen wie Sie?
Nein.

Was interessiert Sie daran, Kirchenoper aufzuführen?
Dieses Genre hat eine sehr schillernde Präsenz. Und es vermag, in der Form einer erzählten Geschichte auch heute noch starke Fragen im Kirchenraum zu entwickeln.

Wie ist Ihre Herangehensweise bei der Kreation einer Kirchenoper, bez. bei Ihrer Arbeit generell?
Nun, ich achte einfach darauf, was mich selbst anspricht. Ich habe das bei ignazianischen Exerzitien gelernt.

Denken Sie an ein bestimmtes Publikum, wenn Sie einen Stoff auswählen?
Bei meiner Sonntagsgemeinde kann ich das. Beim Carinthischen Sommer weiß ich nur: sehr bürgerlich.

Welche Quellen suchen Sie auf, um einen geeigneten Stoff für eine Kirchenoper zu finden?
Die besten „Stories“ sind in der Bibel. Besonders die augenscheinlichen Nebenfiguren.

In wie fern ist der Aufführungsort bei der Konzeption mitbestimmend?
In diesem Fall hat der Ort (und das Budget) das Figurenensemble beschränkt.

In wie fern hängt die Architektur einer Kirche mit der Kirchenoper zusammen?
Barockkirchen sind zwar seit der Barockzeit beliebte Aufführungsorte, aber sie engen durch ihre starke Definitionsmacht doch den Raum sehr ein.

Was möchten Sie mit der Kirchenoper für eine Wirkung erzielen?
Betroffenheit und Nachdenklichkeit. Und Freude an der Präsenz des Schönen.

Denke Sie, dass Librettisten sich an anderen Schreibtechniken orientieren, um eine Kirchenoper zu schreiben oder ein spirituelles Thema zu bearbeiten, wie zu einem nicht sakralen Thema?
Ich hoffe, dass nicht das der Grund ist für ihre Harmlosigkeit!

Wie denken Sie hat sich der zweite Weltkrieg auf die religiöse Musik, bez die Kirche ausgewirkt?
Danach gab es ein starkes Bedürfnis nach einer Rückkehr zu einer heilen Ordnung.

Gibt es erkennbare Tendenzen wie sich die Kirchenwelt nach 1945 verändert hat?
Katholizismus und Protestantismus bildeten tragende und umfassende Milieus und gaben starke Identität durch Zugehörigkeit. Nach etwa zwei Jahrzehnten erschöpfte sich jedoch dieses Zuordnungsbedürfnis, und die Modernisierung begann, ein Massenphänomen zu werden, was sie vor dem Ersten Weltkrieg nur in den Städten und Bildungsschichten war.

Persönlich denke ich, dass Kirchenoper in der Zeitgenössischen Musik wenig geschätzt wird, teilen Sie diese Meinung?
Das hinge von den Themen ab. Die Presse ist natürlich religiösen Formen gegenüber sehr reserviert.

Muss man religiös sein um Kirchenoper zu schätzen, zu schreiben?
Als Autor bestimmt, als Besucher bestimmt nicht. Überhaupt, was heißt: religiös sein? Nach meinem Verständnis heißt das: große Fragen stellen, ohne sich schnell abspeisen zu lassen. In diesem Verständnis sind wohl viele Kunstinteressierte religiös. Nach der Aufführung haben sich übrigens der Komponist und der Regisseur als Nichtreligiös geoutet.

Würden Sie auch Kirchenopern mit Themen aus anderen Religionen, z.B. Judentum oder Islam schreiben wollen?
Bestimmt.

Stellung der Kirchenoper allgemein?
Was glauben Sie, sind die Gründe, dass die Religion aus der Oper, die neue Musik aus der Kirche gegangen sind?

In meiner Kirche ist die neue Musik immer drin. Aber man muss auch sagen, dass die neue Musik kaum irgendwo sicher drin ist, nicht einmal in den Konzertsälen und Radioprogrammen. Die Kirche kann die prekäre Präsenz der neuen Musik auch nicht wiederherstellen, obwohl ich mich darum bemühe.

Wie hat sich unsere Gesellschaft bez. Religion und Kirche verändert?
Ein starkes Misstrauen gegenüber Institutionen, die zunächst als Einschränkung der freien Selbstentfaltung verstanden werden, treibt den Menschen in andere Erfahrungswelten.

Könnte zeitgenössische Kirchenoper Menschen wieder mehr in Kirchen bringen?
Ich denke, das hängt von individuellen Erfahrungen ab. Da geht es um Vertrauen in bestimmte Personen und um Glaubensentscheidungen. Aber für die öffentliche Präsenz der Kirche und für die kritische Meinungsbildung der „Insider“ kann sie hilfreich sein.

Zeitgenössische Musik ist für viele Leute schwer verständlich, ist die Kombination mit religiösen Themen eine Verdopplung dieses Problems, oder kann dies ein neuer Weg sein, beide diese Gebiete dem Publikum näher zu bringen?
Weder die Musik noch die religiösen Themen müssen schwer verständlich sein. Was Musik und Religion gemeinsam wollen, ist die Transformation der banalen Alltagserfahrung in einen übergeordneten Kontext. Also die Verwandlung. Also die Zuordnung in einen Heilszusammenhang.

Warum ist Religion bei heutigen Komponisten kein Thema mehr, oder kaum, dennoch ist das Thema Spiritualität zur zeit sehr präsent?
Ich kann diese Einschätzung nicht bestätigen. Nahezu alle Musiker, die ich um Mitwirkung gefragt habe, sagten sofort begeistert zu. Der Auftrag, in und für die Kirche zu arbeiten, spornt sie zu ihren besten Werken an!

Werfen wir einen Blick auf andere Komponisten, welche haben Ihrer Meinung nach besonders zur Weiterentwicklung des Genres Kirchenoper beigetragen?
Ich habe Messiaen bereits genannt. Ich möchte aber auch Künstler wie John Cage oder Jimi Hendrix nennen, die zwar keine Kirchenoper, aber wohl Bewegung, auch Szenische, in die Musik gebracht haben. Nach meiner Meinung lebt „Kirchenoper“ von der Konsistenz eines Themas oder einer Geschichte, sowie von dem Ereignishaften und Überraschenden seiner Präsentation, die nicht nur auf der Kirchenbühne. sondern in der Wahrnehmung der Besucher stattfindet, wenn sie mit neuen Fragen heimgehen.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptunterschiede einer ‚normalen’ Oper, z.B. Samson et Dalila von Saint-Saens, die auf einem biblischen Stoff beruht und einer Kirchenoper?
Wahrscheinlich der Aufführungsort.

Kirchenoper im/als Musikbetrieb
Ist es leicht, von dem Beruf als Librettist zu leben?
Das kann ich nicht sagen. Ich bekomme ein Gehalt als Pfarrer und Lehrer.

Hat die Kirche Sie und Ihre Arbeit in irgendeiner Weise mitfinanziert und für Ihre Arbeit Interesse gezeigt?
Geld nein, Interesse viel. Immerhin war Bischof Schwarz bei der Premiere und hat mich zu weiteren Texten ermutigt.

Was ist das typische Publikum für eine Kirchenoper/ für Ihre Texte?
Bürgerliche Kunstinteressierte, die sich ein solches Ereignis leisten können und wollen. Meine Texte? Leser, die sich nicht scheuen, sich hinterfragen zu lassen.

Wie waren die Auslastungen für die Kirchenoper?
Jede Aufführung ausverkauft.

Welche Werbestrategien verfolgen Sie für Ihre Arbeit?
Presseaussendungen, besonders an die kirchlichen Medien. Aber der C.S. hat eigene Werbestrategien.

Braucht es spezielle Musiker, Sänger, Regisseure für Kirchenoper?
Ich bevorzuge die Radikaleren.

Wie sehen Sie die Zukunft von dem Carinischen Sommer?
Ich denke, er hat sich übernommen. Er ist stark auf den Intendanten zugeschnitten.

Die Produktion von ‚Sara und ihre Männer’
War ‚Sara und ihre Männer’ ein Auftragswerk des Carintischen Sommers?
Wenn, dann ging der Auftrag von mir aus.

Wie lange im Voraus wussten Sie von der Produktion?
2003 schrieb ich den Text. Die Jahre danach brauchten wir, um vom Intendanten wahrgenommen zu werden.

Wie ist Ihr Arbeitsprozess?
In zwei Wochen war der Text fertig.

Wie lange im Voraus haben Sie sich im Vorfeld mit dem Komponisten oder dem Regieteam getroffen, bez. gemeinsam über das Stück und die geplante Umsetzung gesprochen?
Ich habe den Komponisten gefragt, ob er bereit wäre, einen Text zu vertonen. Ich wusste, dass Bruno immer wieder Textfragmente für seine Kompositionen verwendet. Als Bruno den Text hatte, haben wir uns immer wieder getroffen und darüber gesprochen. Mit dem Regisseur und dem Bühnenbildner trafen wir zwei Jahre vor der Aufführung zusammen. Eine Woche lang gingen wir gemeinsam den Text durch. Da wurde auch über die Musiker und DarstellerInnen gesprochen.

Finden Sie es hilfreich, mit einem Komponisten zusammen zuarbeiten?
Anders ist wohl eine Kirchenoper kaum möglich.

Wie empfanden Sie die Probenarbeit dieser Produktion?
Spannend, wenn aus imaginierten Figuren plötzlich Menschen aus Fleisch und Blut werden.

Wie würden Sie den Schwierigkeitsgrad der Musik einstufen?
Sehr schwierig. Grenzwertig.

Gab es etwas, was für Sie in der Produktion ungünstig war?
Nein.

Inwiefern waren Sie an der Auswahl der Besetzung beteiligt?
Wir haben über den jeweiligen Typus der Figuren gesprochen.

Was würden Sie sagen, haben Sie durch die Arbeit an und mit ‚Sara’ für Ihre Arbeit neu dazugelernt?
Auf jeden Fall.

Würden Sie gerne wieder ein solches Projekt starten?
Bin schon dabei.

Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit!
Susannah Haberfeld

Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde.

Hebr 11,8

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