Sonntag, 14. August 2022

Botero und die Subversion (als Horizont der überfälligen Kirchenerneuerung)

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Vor Jahren hab ich diesen Maler in Wien kennengelernt.
Bald werde ich ihm in seiner Heimat begegnen!


a.
Jawohl, dieser lateinamerikanische Maler, entschiedener Diener des Gegenständlichen und Konkreten, kann uns Subversion lehren. Auch, wenn viele in ihm den Verehrer der Fülle sehen wollen, der im Überfluss der Formen schwelgt – so glaube ich ihnen nicht. Die feisten Figuren, der schielende Priester mit dem Melonenschirmchen über der gleichfarbigen und gleichförmigen Melone, über eine grünschimmernde Wiese schwebend, die pralle Ballerina, die Kartenspieler mit der nackten Spielerin, der Bi-schof mit den hängenden Schultern und dem Rosenkranz in den Patschhändchen, die stumm ins Leere blickenden Toreros in Festkleidung vor den Stierungetümen: Sie alle erscheinen nicht als Individuen, sondern als Repräsentanten einer Spezies, als selbst-zufriedene Vertreter einer Gattung, die jeweils mit ihnen in ihrer ganzen Lächerlichkeit erscheint, typologisch in der Rundlichkeit der Figuren, starr in der Repräsentation - so wie auf den Schwarzweißfotos des 19. Jahrhunderts Offiziere oder Bürgerfamilien po-siert hatten. Also nicht Individuum, sondern Gattung.

b.
Die außerordentliche Rundlichkeit ist eine überhöhte Körperlichkeit. Geistige Situatio-nen wie die Szene im Priesterseminar oder der Sündenfall, Familienszenen oder Maria mit dem Kinde, werden sosehr vom Körperlichen umlagert, dass das Geistige ver-schwindet. Das ist der erste Schritt der Subversion bei Botero: Der Auszug des Geistes aus der Materie. Deshalb blicken die Figuren so schemenhaft ins Leere, deshalb schielt der Geistliche, deshalb liegt in Adams Blick weder diebische Lust noch Schuldbewusst-sein. Das Feiste der Figuren ist die Abwesenheit des Geistes: da bleiben nur die Fleischberge, am deutlichsten vielleicht bei den Katzen, denen nicht einmal Boshaf-tigkeit zuzutrauen ist. Mario Vargas Llosa lobt die katholische Üppigkeit Lateinamerikas gegenüber dem dürren protestantischen lebensverneinenden Körperideal des Wes-tens. Aber er hat den Figuren zuwenig in die Augen geschaut.

c.
Der nächste Schritt in die Subversion ist auch die Unwirklichkeit der Materie selbst. Wie kann eine so voluminöse Ballerina auf der Zehenspitze balancieren? Und damit man nicht in Versuchung kommen möge, diese Darstellung für surrealistisch oder iro-nisch zu halten: Ihrem Blick sieht man keinerlei Anstrengung an, nicht einmal den Stolz auf die Leistung. Nein, so wie der Geist sich zurückgezogen hat, so ist auch die Materie ihrer selbst entleert. Die Volumina haben kein Gewicht. Weder die Ballerina noch der Stierkämpfer, den der Stier über seine Hörner wirbelt, noch der tote Stier selbst, der durch die Arena geschleift wird, noch der Apfel in der Hand, noch die Leichen und die abgetrennten Gliedmaßen am Boden noch die monströsen Katzen, die im Arm gehalten werden, noch die Vorgänge im Bordell, die sich unterm Blick des Betrachters ins Raum-lose zurückziehen. So viel Haut und nacktes Fleisch, aber keinerlei Eros. Damen bei der Toilette, Männer als Transvestiten, die nackte Frau in der bürgerlichen Herrenrunde, die spielenden Kinder neben der Dirne und ihrem Freier: Das, was neugierig macht, ist das Fehlende, das nicht Dargestellte, und nicht die Nacktheit selbst. Der geistlose Kör-per ist auch kein wirklicher Körper.

d.
Eine weitere subtile Dimension liegt in den szenischen Darstellungen. Der tote Stier, von den vorgeblichen Siegern durch die Arena geschleift, grinst und rollt sich wie ein Schoßhündchen ein. Die geraubte Prinzessin Europa thront auf dem fast gleichfarbi-gen Stier, dem der göttliche Triumph nicht anzusehen ist, eher wirkt er erschöpft oder gar resigniert auf halbem Entführungsweg, während die Entführte den verwandelten Göttervater an den Hörnern packt und wie ein Hutschpferd behandelt. Das Familiäre der Bordellszenen muss genannt werden, obwohl nichts auch nur annähernd Intimes auszumachen ist, wenn volle und leere Teller herumstehen, zwei Paare und einige Kinder sich um das Bett gruppieren, und kaum ein Kontakt zwischen Personen statt-findet: weder Beziehung noch Gewalt, weder Interesse noch Handlung, ja die am Bo-den verstreuten Zigaretten erscheinen am Ende noch redseliger als die Personen selbst.
Dieses steif Herumstehen, das sich ebenso auf den Stierkampfbildern (von denen man doch Grazilität und Behendigkeit erwartet!) findet wie bei posierenden Personen oder bei Familienposen, scheint überall von den Stillleben entnommen zu sein, deren Prä-sentation im vierten Schauraum des BA-Kunstforums wie eine Herzkammer angelegt ist. Dort werden ergraute Ananas-Stücke und in ihre eigene Schale gewickelte Orangen von Wespen umschwirrt, weiße Röslein von einer bauchigen Vase mehr verschlungen als präsentiert; ein knallgrüner Bananenberg auf einem Tischchen inmitten üppiger knallgrüner Bananenstauden dargeboten, sodass der Schauplatz der Szenerie ver-schwindet, als würde das biedere Tischchen im Urwald oder der Urwald in dem Salon fehl am Platz sein; die Picknickdecke, bauchig gefaltet, gibt einen Obstkorb, Früchte auf Tellern und mehrere, mit farbigen Flüssigkeiten halb gefüllte Gläser zu sehen. An einer Tuchecke liegt ein Mann mit geschlossenen Augen, gegenüber halten fleischige Frau-enhände tatkräftig ein weiteres halbvolles Glas sowie eine Zigarette. Aktiv ist die (un-sichtbare) Frau, passiv der Mann, der schläft oder vielleicht tot ist, am Ende vergiftet durch einen der farbigen Säfte. Und wieder kommt der Schauplatz abhanden, denn das Tuch schwebt über der Wiese, ohne sie zu berühren, und erst recht die beiden Figuren, die sich auf das Picknicktuch beziehen, und nicht auf den Hintergrund und Untergrund. Der Inbegriff dieser prangenden Fruchtkörper ist die Birne, die den Schauraum beherrscht. Kollosal prangt die Frucht dort, als würde sie gleich platzen, ihre eigenen Grenzen wie auch den Bildrahmen. Diese unförmigste aller Früchte hat dort, wo der Stengel herausragt, ein ebenso nichtssagendes Gesicht wie die Figuren. Die sackartige Form könnte geradezu umkippen und ihren Inhalt ergießen. Die Ober-fläche beginnt sich bereits aufzulösen, ein Wurmloch, eine Bissstelle und dann ein Würmchen, das vor der völligen Auflösung den Nährboden verlässt.

e.
Die monströse Frucht korrespondiert mit dem Äpfelchen, das ungeheuer beiläufig von Adam und Eva in der Hand gehalten wird. Diese Bildhängung lenkt den Blick auf die Frage, ob diese geistlose und entkörperlichte Präsenz als schuldhaft aufzufassen sei. Das Unbeteiligte im Ausdruck der Stiertöter oder der Geistlichen, des Präsidentenehe-paares oder der Witwe, deren Kinder rund um sie hantieren, ohne dass sie den Über-blick zu haben scheint. Wie kann man so unbehelligt von der Welt verantwortlich sein? So teilnahmslos repräsentieren? Wie ein tumber Schulbub steht Adam da, mit dem Apfel in der Hand. Das ganze Menschengeschlecht hängt an seiner Sünde, und er blickt leer vor sich hin. Ist er ertappt worden und erschrocken? Ist Eva im Bilde über ihre Tat? Ob sie es wissen oder nicht: Es ist ihnen nicht anzumerken. Jede geistige Präsenz ist aus ihrem Antlitz geschwunden, und die körperliche nur mehr ein leeres Prangen. Ja, das ist die Form, die die Schuld angenommen hat. Der leere, nichtssagende Rückzug auf sich selbst, die körperliche Masse. Boteros Figuren sind Wesen, die die Welt verlas-sen haben. Schuldhaft dem Geist entsagt, und selbstgewiss und feist im Körper ver-blieben, der übrig ist. Das allein gibt ein hervorragendes Bild des Menschen im Kos-mos.

f.
Adam und Eva stehen auf steinigem Boden. So war das Paradies? Die fleischige Balleri-na berührt den Boden nur mit der Zehenspitze, die Badende nur mit dem Schuhab-satz, Europa gar nicht, denn sie sitzt auf dem Stier, der durchs Wasser trabt. Der Prä-sident und seine Gattin sitzen auf Pferden, deren Säulenbeine kaum am Boden stehen, auch die Stierkämpfer sind meist zu Pferde, oder es liegt einer ganz unbehelligt un-term Stier, ein anderer liegt wie schlafend auf dem Bocksprünge machenden Unge-heuer. Was hat es mit diesem Boden auf sich?
Das „Erdbeben“ ist ein Tanz schlanker Gebäude zum Glockengeläut, wie Konfetti reg-nen Dachziegel herab, die keinem Dach fehlen, bunt und hell ist die Stadt, aber ein Sternenhimmel umspannt sie. Das ist eine Kosmologie ohne Boden, ohne Oben und Unten, vielleicht schweben die Trümmer, bunter als die Dächer, von denen sie nicht stammen können, vielleicht gibt es gar keine Ordnung mehr. Eine einzige Figur im Bild, aus dem Turmfenster blickend, händeringend, zum Himmel gewandt: Von dort kommt das Schreckliche, dass kein Boden ist, und kein Grund unter den Füßen.
Die Früchte prangen auf Tischen, aber wo stehen diese? Im Nichts. Entweder öffnet sich die Tiefe des Universums dahinter, oder eine weit entfernte Wiese fungiert als Hintergrundkulisse, auf der die Figuren Schatten werfen. Der Priester, der Nuntius: sie scheinen sich mehr mit dem Himmel zu beschäftigen als mit dem Grund, auf dem sie stehen: schützen müssen sie sich. Ein bodenloses Universum zeichnet Botero, einen Kosmos, wo die Dinge aus dem Lot sind.

g.
Warum das alles subversiv sein soll? Nun, es ist die Intelligenz der Darstellung. Es ist das Spiel mit den Bedeutungen, es sind die Fallen, in die der Betrachter tappt, es sind die Winkelzüge, die ihn verführen. Dazu gehört natürlich auch die kluge Bildhängung, die dem Eintretenden gleich das Hinterteil der Dame am Waschtisch entgegenhält. Bo-teros Körper sind abstoßend in ihrer Seelenlosigkeit. Und doch fasziniert ihre Selbst-gewissheit, ihr Blick ohne die Spur eines Selbstzweifels. Das alles umfängt den Betrach-ter. Zwischen Befremdung und Neugier pendelnd, droht er mitschuldig zu werden an der Geistlosigkeit der prangenden Körper, und vielleicht gelingt es manchem, über das Feiste hinwegzusehen und die Gestalten zu mögen. Aber es wird schwer sein, sich nicht die eigene leere Äußerlichkeit einzugestehen, die einem in den Bildern entgegentritt; sich nicht in der Europa zu finden, die an der Verführung Gefallen zu finden scheint, ohne zu begreifen, was mit ihr vorgeht.

h.
Die wahre Probe aufs Verstehen sind aber die Christus-Bilder. Dazu ist zu sagen, dass diese Darstellungen sehr unterschiedlich sind. Ecce Homo aus 1967 zeigt eine rundli-che Figur mit (wie so oft bei Botero) dem Betrachter zugewandten riesigen Knien und Schienbeinen, die in winzige Füßchen münden. Ähnlich endet der breite, füllige Ober-körper in kleinen Kinderhänden, die Spotttrophäen halten. Sie sitzt auf einem würfel-artigen Thron, in ein Tuch gewickelt wie in einen Bademantel. Aber nun der Blick. Die-ser Christus blickt nicht geistlos wie der Torero oder wie Adam. Der Blick ist etwas ab-wärts gerichtet, er schaut vor sich hin, betrübt und wissend. Er ist sich seiner Lächer-lichkeit bewusst. Wenn man mir vorwerfen will, ich würde diese Darstellung von vorn-herein anders beurteilen als die übrigen, dann soll man noch einmal den anderen Fi-guren ins Gesicht sehen. Kann es sein, dass die Ballerina etwas weiß? Oder Adam und Eva? Falls ihnen dämmert, wer sie sind, so zeigen sie es nicht, sondern schließen jedes Bewusstsein in sich ein. Also verschlossen und in sich gekehrt. Dieser Christus aber weiß um die Lächerlichkeit seiner Situation und seines Körpers, in den er hineingera-ten ist. Ich habe noch nie so deutlich gesehen, wie Christus der Sackgasse des Mensch-lichen inne wird, wie er in diesem Körper festsitzt, in den er hineingeraten ist, und der, nach Boteros Diktion, der Körper der Menschen überhaupt ist. Dagegen steht der Christus aus dem Jahr 1999. Der Kopf im Profil, der Blick aufwärts, der Mund geöffnet. Der einzige geöffnete Mund auf den hier ausgestellten Bildern! Der einzige nach oben gerichtete Blick! Und es ist kein Blick ins Leere, keine Abwesenheit. Nein, dieser massi-ge Leidende hat Gott erblickt. Seine Augen leuchten auf. Er schöpft Hoffnung. Er ver-steht. –

Die Kreuzigung(2000) zeigt Christus wieder anders. In stämmiger Breite, nicht mehr weich und hilflos. Er hängt nicht am Kreuz, er steht darauf, auf eigenen Beinen und aus eigenem Entschluss. Die Kartenspieler, der Freier bei Marta Pintuco oder die Tän-zer mögen entschlossen sein, aber dieser Christus ruht in sich. Er lehnt sich ans Kreuz. Die Mundwinkel zeigen nach unten wie überall bei Botero, aber die geschlossenen Au-gen sind friedlich, beinahe nachdenklich. Dieser Christus weiß, was er tut.

i.
Kann man nun die Geistlichen messen mit diesem Christus?
Keineswegs. Leere Blicke, wehleidig (Bischof, 1989), ahnungslos (Spaziergang, 1977; Priesterseminar, 2004), planlos allesamt. Da ist auch kein Selbstbewusstsein auszu-machen: geistlos wie die anderen Figuren bei Botero. Mag sein, dass sie brav sind und gutmütig, vielleicht nützlich, wahrscheinlich fromm. Die meisten halten Frömmig-keitsutensilien in den Händen, Rosenkränze, Bibeln. Mehr noch als die übrigen Figuren sind sie vorhersehbar. Und damit stellen sie am wenigsten von allen Bildern Boteros Karikaturen dar. Denn diese Figuren sind beängstigend real. Stierkämpfer, Tänzer, Bordellbesucher oder Kartenspieler mögen dumpf sein. Aber bei Geistlichen ist das inakzeptabel. Und dieses Dilemma liegt gewiss im traurigen Blick des Ecce Homo. Und ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Die Tränen der Nuestra Senora de Colum-bia (1992) gelten diesen Folgen des Christusgeschehens. Die Madonna im Festgewand und das Kind im Spielgewand blicken auf die kommende Welt, nicht nur auf Leiden und Kreuz, auch auf unsere Zeit hin. Beide stecken im unförmigen Menschenleib, der Sohn hat ihn von der Mutter. Beide sehen der Erlösung dieses Menschenleibes entge-gen, und die grüne Kirsche, die die Mutter als Paradiesfrucht wie eine giftige Beere mit spitzen Fingern hält, ist vielleicht die Zukunft – womöglich die heutige Welt und diese heutige Kirche, so massig und schlaff und harmlos, so ahnungslos inmitten der stum-men Vorgänge. Adam war stumpf gegen die Folgen, die Madonna und ihr Sohn aber könnten Zweifel bekommen, ob es dafürsteht.

Sonntag, 2. Dezember 2012

Interview zu Sara

Biographisch:
Wann wurde das Thema Religion für Sie ein zentrales Thema in Ihrem Leben?

Religion war immer wichtig, soweit ich mich zurückerinnern kann. Aber nicht zentral. In meiner Familie gab es Respekt vor der Religion, vor dem Glauben, vor Gott. Zentral wurde das Thema Religion, als ich mich entschloss, Priester zu werden. Da war ich 25.

War Religion/Kirche in Ihrer Kindheit/Jugend im Elternhaus/Schule von Bedeutung?

Im Gymnasium hatte ich einen Religionslehrer, der auch Priester war. Zu ihm entwickelte ich, besonders nach der Schule, eine freundschaftliche Beziehung.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Libretto für ein Stück mit religiösem Schwerpunkt in der heutigen Zeit, für eine Kirchenoper zu schreiben?

Ich verfolge die Kirchenopern in Ossiach schon längere Zeit. Einerseits bin ich Festivals gegenüber eher skeptisch, weil ich sie einer bürgerlichen Selbstreproduktion verdächtige. Andererseits bin ich viel stärker der abstrakteren Instrumentalmusik verschrieben. Ich dachte aber, wenn es schon diese interessante Form von zeitgenössischem Musiktheater gibt, und dann noch in kirchlichem Kontext, dann muss das genau verfolgt werden. Und dann war ich jedesmal enttäuscht. Nicht von der Musik. Moderne Musik kann große Qualitäten und Erfahrungsräume öffnen, die kirchlicher Verkündigung sehr elementar entgegenkommen. Ich habe diesbezüglich wunderbare Erfahrungen gemacht mit Kompositionsaufträgen, die ich über elf Jahre hinweg regelmäßig vergeben habe. Eigentlich schon länger. Sondern ich war enttäuscht von den biederen und langweiligen Themen. Offensichtlich dachten diese Künstler, Projekte für die Kirche müssten brav und harmlos sein. Und deshalb wollte ich etwas anderes machen. Einerseits mit einem sprachlichen Anspruch. Und andererseits mit einem reflexiven Thema, das hintergründig nicht eine Geschichte vorführt, sondern umgekehrt die Beteiligten selbst!

Wer sind Ihre Vorbilder bezüglich Ihrer Arbeit?

Wichtige Schriftsteller des 20. und 21. Jahrhunderts. Vielleicht Hugo von Hoffmansthal.

Was sind Ihre Ziele und Visionen?

Früher hätte ich gesagt: Die Bibel als ein weises Buch des Lebens darzustellen. Und den christlichen Glauben als ein Durchqueren jeglicher Fraglichkeit. Seit der Aufführung sage ich: Den Menschen in seinem Ringen um Rechtfertigung zu zeigen. Das habe ich an der Reaktion von Beteiligten erkannt.

Haben Sie ein Lebensmotto?
Initiative anstatt Resignation.

Würden Sie sich als religiös bezeichnen?
Natürlich.

Werk:
Welchen Stellenwert hat Kirchenoper in Ihrem Werk?
Nicht den obersten. Es gibt auch andere Kunstformen in meinem Leben.

Was ist für Sie die Definition von Kirchenoper?
Die Verbindung von Musik und szenischer Literatur, zu einem in irgendeinem Sinn religiösem Thema.

Welche Komponisten haben Ihrer Meinung nach am meisten für das Genre Kirchenoper geschrieben?
Wahrscheinlich Olivier Messiaen.

Kennen Sie andere Librettisten, die ein ähnliches Interesse verfolgen wie Sie?
Nein.

Was interessiert Sie daran, Kirchenoper aufzuführen?
Dieses Genre hat eine sehr schillernde Präsenz. Und es vermag, in der Form einer erzählten Geschichte auch heute noch starke Fragen im Kirchenraum zu entwickeln.

Wie ist Ihre Herangehensweise bei der Kreation einer Kirchenoper, bez. bei Ihrer Arbeit generell?
Nun, ich achte einfach darauf, was mich selbst anspricht. Ich habe das bei ignazianischen Exerzitien gelernt.

Denken Sie an ein bestimmtes Publikum, wenn Sie einen Stoff auswählen?
Bei meiner Sonntagsgemeinde kann ich das. Beim Carinthischen Sommer weiß ich nur: sehr bürgerlich.

Welche Quellen suchen Sie auf, um einen geeigneten Stoff für eine Kirchenoper zu finden?
Die besten „Stories“ sind in der Bibel. Besonders die augenscheinlichen Nebenfiguren.

In wie fern ist der Aufführungsort bei der Konzeption mitbestimmend?
In diesem Fall hat der Ort (und das Budget) das Figurenensemble beschränkt.

In wie fern hängt die Architektur einer Kirche mit der Kirchenoper zusammen?
Barockkirchen sind zwar seit der Barockzeit beliebte Aufführungsorte, aber sie engen durch ihre starke Definitionsmacht doch den Raum sehr ein.

Was möchten Sie mit der Kirchenoper für eine Wirkung erzielen?
Betroffenheit und Nachdenklichkeit. Und Freude an der Präsenz des Schönen.

Denke Sie, dass Librettisten sich an anderen Schreibtechniken orientieren, um eine Kirchenoper zu schreiben oder ein spirituelles Thema zu bearbeiten, wie zu einem nicht sakralen Thema?
Ich hoffe, dass nicht das der Grund ist für ihre Harmlosigkeit!

Wie denken Sie hat sich der zweite Weltkrieg auf die religiöse Musik, bez die Kirche ausgewirkt?
Danach gab es ein starkes Bedürfnis nach einer Rückkehr zu einer heilen Ordnung.

Gibt es erkennbare Tendenzen wie sich die Kirchenwelt nach 1945 verändert hat?
Katholizismus und Protestantismus bildeten tragende und umfassende Milieus und gaben starke Identität durch Zugehörigkeit. Nach etwa zwei Jahrzehnten erschöpfte sich jedoch dieses Zuordnungsbedürfnis, und die Modernisierung begann, ein Massenphänomen zu werden, was sie vor dem Ersten Weltkrieg nur in den Städten und Bildungsschichten war.

Persönlich denke ich, dass Kirchenoper in der Zeitgenössischen Musik wenig geschätzt wird, teilen Sie diese Meinung?
Das hinge von den Themen ab. Die Presse ist natürlich religiösen Formen gegenüber sehr reserviert.

Muss man religiös sein um Kirchenoper zu schätzen, zu schreiben?
Als Autor bestimmt, als Besucher bestimmt nicht. Überhaupt, was heißt: religiös sein? Nach meinem Verständnis heißt das: große Fragen stellen, ohne sich schnell abspeisen zu lassen. In diesem Verständnis sind wohl viele Kunstinteressierte religiös. Nach der Aufführung haben sich übrigens der Komponist und der Regisseur als Nichtreligiös geoutet.

Würden Sie auch Kirchenopern mit Themen aus anderen Religionen, z.B. Judentum oder Islam schreiben wollen?
Bestimmt.

Stellung der Kirchenoper allgemein?
Was glauben Sie, sind die Gründe, dass die Religion aus der Oper, die neue Musik aus der Kirche gegangen sind?

In meiner Kirche ist die neue Musik immer drin. Aber man muss auch sagen, dass die neue Musik kaum irgendwo sicher drin ist, nicht einmal in den Konzertsälen und Radioprogrammen. Die Kirche kann die prekäre Präsenz der neuen Musik auch nicht wiederherstellen, obwohl ich mich darum bemühe.

Wie hat sich unsere Gesellschaft bez. Religion und Kirche verändert?
Ein starkes Misstrauen gegenüber Institutionen, die zunächst als Einschränkung der freien Selbstentfaltung verstanden werden, treibt den Menschen in andere Erfahrungswelten.

Könnte zeitgenössische Kirchenoper Menschen wieder mehr in Kirchen bringen?
Ich denke, das hängt von individuellen Erfahrungen ab. Da geht es um Vertrauen in bestimmte Personen und um Glaubensentscheidungen. Aber für die öffentliche Präsenz der Kirche und für die kritische Meinungsbildung der „Insider“ kann sie hilfreich sein.

Zeitgenössische Musik ist für viele Leute schwer verständlich, ist die Kombination mit religiösen Themen eine Verdopplung dieses Problems, oder kann dies ein neuer Weg sein, beide diese Gebiete dem Publikum näher zu bringen?
Weder die Musik noch die religiösen Themen müssen schwer verständlich sein. Was Musik und Religion gemeinsam wollen, ist die Transformation der banalen Alltagserfahrung in einen übergeordneten Kontext. Also die Verwandlung. Also die Zuordnung in einen Heilszusammenhang.

Warum ist Religion bei heutigen Komponisten kein Thema mehr, oder kaum, dennoch ist das Thema Spiritualität zur zeit sehr präsent?
Ich kann diese Einschätzung nicht bestätigen. Nahezu alle Musiker, die ich um Mitwirkung gefragt habe, sagten sofort begeistert zu. Der Auftrag, in und für die Kirche zu arbeiten, spornt sie zu ihren besten Werken an!

Werfen wir einen Blick auf andere Komponisten, welche haben Ihrer Meinung nach besonders zur Weiterentwicklung des Genres Kirchenoper beigetragen?
Ich habe Messiaen bereits genannt. Ich möchte aber auch Künstler wie John Cage oder Jimi Hendrix nennen, die zwar keine Kirchenoper, aber wohl Bewegung, auch Szenische, in die Musik gebracht haben. Nach meiner Meinung lebt „Kirchenoper“ von der Konsistenz eines Themas oder einer Geschichte, sowie von dem Ereignishaften und Überraschenden seiner Präsentation, die nicht nur auf der Kirchenbühne. sondern in der Wahrnehmung der Besucher stattfindet, wenn sie mit neuen Fragen heimgehen.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptunterschiede einer ‚normalen’ Oper, z.B. Samson et Dalila von Saint-Saens, die auf einem biblischen Stoff beruht und einer Kirchenoper?
Wahrscheinlich der Aufführungsort.

Kirchenoper im/als Musikbetrieb
Ist es leicht, von dem Beruf als Librettist zu leben?
Das kann ich nicht sagen. Ich bekomme ein Gehalt als Pfarrer und Lehrer.

Hat die Kirche Sie und Ihre Arbeit in irgendeiner Weise mitfinanziert und für Ihre Arbeit Interesse gezeigt?
Geld nein, Interesse viel. Immerhin war Bischof Schwarz bei der Premiere und hat mich zu weiteren Texten ermutigt.

Was ist das typische Publikum für eine Kirchenoper/ für Ihre Texte?
Bürgerliche Kunstinteressierte, die sich ein solches Ereignis leisten können und wollen. Meine Texte? Leser, die sich nicht scheuen, sich hinterfragen zu lassen.

Wie waren die Auslastungen für die Kirchenoper?
Jede Aufführung ausverkauft.

Welche Werbestrategien verfolgen Sie für Ihre Arbeit?
Presseaussendungen, besonders an die kirchlichen Medien. Aber der C.S. hat eigene Werbestrategien.

Braucht es spezielle Musiker, Sänger, Regisseure für Kirchenoper?
Ich bevorzuge die Radikaleren.

Wie sehen Sie die Zukunft von dem Carinischen Sommer?
Ich denke, er hat sich übernommen. Er ist stark auf den Intendanten zugeschnitten.

Die Produktion von ‚Sara und ihre Männer’
War ‚Sara und ihre Männer’ ein Auftragswerk des Carintischen Sommers?
Wenn, dann ging der Auftrag von mir aus.

Wie lange im Voraus wussten Sie von der Produktion?
2003 schrieb ich den Text. Die Jahre danach brauchten wir, um vom Intendanten wahrgenommen zu werden.

Wie ist Ihr Arbeitsprozess?
In zwei Wochen war der Text fertig.

Wie lange im Voraus haben Sie sich im Vorfeld mit dem Komponisten oder dem Regieteam getroffen, bez. gemeinsam über das Stück und die geplante Umsetzung gesprochen?
Ich habe den Komponisten gefragt, ob er bereit wäre, einen Text zu vertonen. Ich wusste, dass Bruno immer wieder Textfragmente für seine Kompositionen verwendet. Als Bruno den Text hatte, haben wir uns immer wieder getroffen und darüber gesprochen. Mit dem Regisseur und dem Bühnenbildner trafen wir zwei Jahre vor der Aufführung zusammen. Eine Woche lang gingen wir gemeinsam den Text durch. Da wurde auch über die Musiker und DarstellerInnen gesprochen.

Finden Sie es hilfreich, mit einem Komponisten zusammen zuarbeiten?
Anders ist wohl eine Kirchenoper kaum möglich.

Wie empfanden Sie die Probenarbeit dieser Produktion?
Spannend, wenn aus imaginierten Figuren plötzlich Menschen aus Fleisch und Blut werden.

Wie würden Sie den Schwierigkeitsgrad der Musik einstufen?
Sehr schwierig. Grenzwertig.

Gab es etwas, was für Sie in der Produktion ungünstig war?
Nein.

Inwiefern waren Sie an der Auswahl der Besetzung beteiligt?
Wir haben über den jeweiligen Typus der Figuren gesprochen.

Was würden Sie sagen, haben Sie durch die Arbeit an und mit ‚Sara’ für Ihre Arbeit neu dazugelernt?
Auf jeden Fall.

Würden Sie gerne wieder ein solches Projekt starten?
Bin schon dabei.

Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit!
Susannah Haberfeld

Mittwoch, 28. März 2012

Film und Wasser

Zwei Dinge stimmen überein zwischen "Und dann der Regen" von Regisseurin Icíar Bollaín aus dem Jahr 2010, und " Aguirre, der Zorn Gottes" von Werner Herzog aus dem Jahr 1972:
Der Urwald, der von Indios behaust ist, und in dem Weiße wüten und töten,
sowie der Umstand, dass Leichen augenblicklich aus dem Feld schwinden.
Und vielleicht noch ein Drittes:
Wie sich die planende und zupackende Zivilisation zunehmend verheddert und schließlich ihre Projekte auf absurde Weise ins Leere laufen.
Nicht nur Kritik am Kolonialismus, sondern System- und Mentalitätskritik.

http://www.und-dann-der-regen.de/

Samstag, 7. November 2009

Die ungeschriebene Theorie der Präsenz

1. Annäherung.

Es würde darum gehen, eine Qualität menschlichen Seins zu beschreiben und als unabdingbar zu seinem Wesen gehörig auszuweisen. Der Mensch ist nicht wie ein Ding vorhanden, sondern er ist auf irgendeine Weise anwesend in seiner Welt - ja eigentlich könnte sogar umgekehrt gesagt werden, seine Welt entsteht geradezu aus seiner Anwesenheit.
Diese eigentümliche Anwesenheit ist jahrtausendelang Geist genannt worden, und zwar als menschliche Fähigkeit und Kraft, anwesend zu sein mit Willen, Gestaltungskraft und Überlegung, aber auch als unfassbare außermenschliche Anwesenheit in der Natur, in ihren Kräften - eine Anwesenheit, die der Mensch mit den Geistern teilen musste. Anwesenheit ist so deutlich erfahrbar wie das Sichtbare, ja auch im Sichtbaren, die Anwesenheit macht gerade erst das Sichtbare interessant, sodass es uns anspricht und uns etwas sagt. Ein gemaltes Stilleben öffnet dem westlichen Menschen eine Präsenz der Dinge, die dem ursprünglichen Menschen noch selbstverständlich war.
Eine flache Kinoleinwand verstrickt die Zuschauer in Leidenschaften, die von Gesichtern, Bewegungen und Worten ausgehen, und er wird berührt von eigenen und fremden Sehnsüchten und Ängsten. Die Verehrung des Darstellers, auch wenn er ohne Maske ist (ist er das je?) - ja gerade die Lust, hinter die Maske zu sehen, sucht gerade seine professionelle Fähigkeit der Präsenz, in diesem oder jenem Zusammenhang.
Vielleicht hat erst diese öffentliche Präsenz der Schauspieler die Wahrnehmung der Ahnen verdrängt, und all der Geister, Engel und Dämonen, die Tag und Nacht den Lebenskreis bevölkerten - so wie heute die lebensprallen Zeitungsnachrichten, vom Rand her.

2. Anfänge

Bezeichnenderweise nahm auch das philosophische Denken bei der Präsenz des Ganzen seinen Anfang, die im Feuer, im Wasser oder sonst in einer Kraft gesehen wurde, die den Kosmos durchwirkt. Ihre innere Richtigkeit faszinierte die Denker, obgleich die Präsenz sich bei jedem Zugriff sogleich um eine Linie zurückzog - das ist bis Einstein und den heutigen Physikern so geblieben.
Auch heute noch wirken offenes Feuer und fließendes oder still liegendes Wasser stark auf Menschen ein, die aus ihren synthetischen Welten in die Natur fliehen, von einer schweigenden Präsenz angezogen.

3. Die Religionen

Die Religionen fanden wohl die deutlichsten Antworten auf die wahrgenommene Präsenz, weil sie sie zunehmend als personale Anwesenheit von Göttern ansprechen konnten. In den alten Religionen ist die gemeinsame Anwesenheit von Göttern und Menschen typisch, auch in den ersten Genesiskapiteln, oder im Abraham-Erzählkreis ist das erkennbar. In den großen Religionen wird dagegen diese personale Präsenz immer stärker als souveräne Anwesenheit wahrgenommen. Das geht vielleicht einher mit der Souveränität der Großkönige, die mehrere Völker beherrschen konnten mit einem starken Willen und einer weitsichtigen Organisationskraft - aber es führt von dort ein Weg zur westlichen Bedeutung der individuellen Freiheit, deren Souveränität mit der Gottes nun ebenbürtig erscheinen kann.
Andere Kulturen, z.B. die indische, haben die Präsenz nicht so sehr auf das Individuum konzentriert, weder bei Gott noch in der Gesellschaft - obwohl auch dort dieselbe Tendenz zu bemerken ist.

4. Zeit

Sehr erstaunlich, dass es kaum einer unternommen hat, einen umfassenden Begriff von der Präsenz in zeitlicher Hinsicht darzulegen, wo doch das deutsche Wort Gegenwart in beide Richtungen weist: jetzt dasein, im Unterschied zu früher oder zu einem späteren Zeitpunkt - aber auch in deiner Gegenwart etwas sagen, sodass du es hören kannst. Vielleicht ist Heidegger in der Nähe gewesen, aber er hat das sich zeitigende Sein nicht personal ansprechen können, wodurch allein vermeidbar gewesen wäre, ein Seiendes daraus zu machen. Umgekehrt ist womöglich die personaldialogische Philosophie, wie sie z.B. Levinas vorträgt, wohl zu einem grundlegenden Verständnis des Du gekommen - aber gerade nicht als Gegenwart, sondern als uneinholbare Zukunft, als welche der Andere stets entzogen bleibt.
Im Gegenteil, was gegenwärtig unter Zeit verstanden wird, Fortschritt, Entwicklung, Evolution, wird immer stärker völlig apersonal angelegt - und dieses Denken erweist sich in einer umfassenden Beschleunigungsbewegung, die über Menschenschicksale, sowie die Befindlichkeit ganzer Länder und Völker rücksichtslos hinweggeht. In dieser Hinsicht besteht zwischen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Globalisierung und der nationalsozialistischen Ideologie gar kein großer Unterschied - jeweils geht es darum, dem (eigenen) Fortschritt alles andere unterzuordnen, also den Menschen verfügbar zu machen für den Fortschritt der Zeit. Auch die bereitwillige Unterordnung der Massen unter das jeweilige Diktat von Zeit ist vergleichbar: erstaunlich, wie mühelos sich Menschen von Wirtschaftszwängen und Modediktaten gängeln lassen. Schmeichelhaft wird auch diese gegenwartsarme Zeit mit Zeitgeist angesprochen.

5. Scheinpräsenz/Präsenzschein

Am deutlichsten wird die Sache werden, wenn von den Schein- oder Ersatzformen von Präsenz die Rede ist. Einem jungen Hund, der nicht allein zu Hause bleiben will, stellt man einen tickenden Wecker ins Kistl: das mag ihn an den Herzschlag des Muttertiers erinnern und gibt ihm jedenfalls das Gefühl, nicht allein zu sein. Kindern stellt man mit dem selben Ziel den Fernseher an. Die "Präsenz" aus Licht und Geräuschen, aus einfachen Handlungen und einfach generierten Gefühlen nimmt sie in Anspruch und lässt sie in ein Geschehen eintauchen, als Zuseher und Mitspieler (Mitfühlender). In türkischen Haushalten habe ich oft laufende Fernsehapparate gesehen, ohne dass irgendjemand auf den Bildschirm sah - es genügte das Geräusch, und dass dort unablässig etwas vorging. Diese stetige Produktion von beiläufiger Bedeutung suggerierte ein belebtes Haus. Ich selbst lasse gern das Licht brennen, wenn ich aus dem Haus gehe, um andern ein bewohntes Haus zu präsentieren, und selbst bei der Rückkehr kein leeres betreten zu müssen. Ähnliche Wirkungen haben Kinderzeichnungen an der Wand - ja Bilder überhaupt: Es ist Bedeutsamkeit und Präsenz, die so in einer Wohnung angereichert wird.
Ähnliches wird vom Radio zu sagen sein, Ähnliches auch von der Musik, wobei es große Differenzen in den Arten des Hörens und "Hörens" gibt. Die maschinelle Berieselung erinnert wohl eher an den Hundewecker als an ein Konzert oder ein Gespräch. - Gerade an der Form eines Gespräches tritt aber die bestimmte Form der Präsenz sehr deutlich hervor: am Interesse am Gesprächspartner, am Zuhören, an der Erwiederung, am Diskursniveau.
Daraus ließen sich unschwer Kriterien für die Präsenz entwickeln: ob sie nämlich eine personale Begegnungsdimension aufweist - oder eine solche abweist.

6. Dichte Präsenz

Ich kenne zwei Beispiele für eine deutlich wahrnehmbare Präsenz. Zuerst die Musik. Das eigentümliche an dieser Kunstform ist, dass es sie jeweils nur einmal gibt. Alles, was erklingt, gibt es nur im Augenblick. Man kann das bewundern mit dem Blick auf die Musiker: im Orchster, als Solisten, immer brauchen sie einen besonderen Sinn für den richtigen Moment. Da gilt es, Takte zu zählen, zuzuhören, die eigene Tonproduktion zu beherrschen. Gerade komme ich von einem Konzert zweier Musiker, die zum ersten Mal miteinander spielten und gerade heute erst zusammen gekommen waren. Konzentrierter Blick auf die Noten: eine Seite für ein 10 Minuten-Stück! Immer wieder ein Blick zum anderen, manchmal eine Handbewegung, ein Kopfnicken. Es sind Millionen Momente, die ganz genau kommen müssen! Große Beherrschung der Fingertechnik, der Rhythmen, des Instruments, und auch des Stücks. Und dann große Freiheit im Ausdruck, und in der Anspannung dann wieder große Gelassenheit, ja spontane Freude über dieses oder jenes glückliche Zusammenstimmen, wie das kurze Aufleuchten eines Meteoriten. - Und ebenso die Zuhörer, konzentriert, freudig, bewegt, ergriffen von lauter Momenten, die Stücke entlang fühlend, mit ihren lauten Höhen und zirpenden Stillen - und am Ende jeweils laut aufatmend mit den Händen.
Aber auch das Ereignis als solches ist von unvergleichlicher Einzigartigkeit. Gewiss, man kann Aufnahmen machen - ich hätte gern welche: aber dann, zuhause, ist die Präsenz bereits viel schwächer, obwohl die Musik gleich gut ist. Es bedürfte einer eigenen, besonderen Inszenierung, um eine ähnliche Aufmerksamkeit aufzubauen wie beim Livekonzert. Das braucht es nämlich für die Präsenz: gestimmte, aufmerksame Hörer, mit einem Gefühl für das, was kommt. Egal, ob Konzertsaal oder Cafehaus, Jazzklub oder Kirche. -

Und nun das zweite Beispiel, die Liturgie. Auch hier Musik - vielleicht nicht immer so professionell, aber mitgesungen, eine andere, womöglich viel intensivere Art der Teilhabe als bloßes bewegungsloses Hören. Aber die Musik nur ein Zeichen für etwas anderes, eine Einbettung mehrerer anderer Präsenzen. Zunächst die Gemeinde, die sich bis zum Beginn langsam aufbaut, die Mitarbeiter, die ihre Positionen einnehmen, sich noch absprechen, vorbereiten, noch manchmal eine Irritation. Dann das Erscheinen von Assistenz und Zelebrant, der Einzug, die Umrundung der Gemeinde, Blickkontakte. Mit erschienen heute ein Taufkind, wie mit der Sänfte getragen. Die ersten Worte, die weiter Präsenz aufbauen, an aktuellen Ereignissen anknüpfen, auf die Schrifttexte vorbereiten, vielleicht eine Frage aufwerfen, die von der Schrift oder von der Predigt beantwortet würde. Das Kyrie, das Gloria, Aufrichten der Gemeinde mit Christus, Öffnen der Wahrnehmung für das Wort - das ewige, das nicht vergeht (heutiges Evangelium), das aber ergeht an diesem heutigen Tag, zu dieser Stunde (und zwar gewissenhaft vorbereitet von den Lektoren). Wer jetzt nicht hört, versäumt. Wer jetzt noch mit sich selbst beschäftigt ist, bleibt unberührt. Denn das Wort dringt ein und bewegt, und es will verändern, erneuern und bekehren. - Das ist die zweite, die dritte Präsenz: wer da spricht, wer da verändert.
Sinnbild dieser Präsenz ist wieder eine Zeitform: einsetzend mit einer Erzählung (am Abend nach dem Mahle) baut sie sich auf: Nehmet und esset alle davon: ein präsentischer Auftrag, eine Aufforderung, ein Ansprechen der Anwesenden (das auch um die Abwesenden weiß), dass sie entgegnen, dass sie mitsprechen, mit lobpreisen, dass sie herkommen und empfangen. Und noch einmal: Seht das Lamm Gottes..., damit sie auch wirklich herschauen und sich dabei selbst empfinden als das, was sie vor ihm sind.
Vielleicht ist es nirgends sonst so deutlich: pure Anwesenheit, zwischen den Worten, in den Zeichen, in aller Stille und Aufmerksamkeit.
Und wenn dann noch Kinder stehen, und Jugendliche, gerade an diesem Tag in dieser Weise zusammengewürfelt, rund um den Altar, mit den Händen erhoben, aufrecht, alle in zufälliger Reihenfolge, aber alle hingeordnet auf das stille Geheimnis, das sich da an dem Tisch vollzieht. Und wie der Priester da still steht, und die ganze Gemeinde, aufrecht, und sieht das Lamm, sieht ein Brot, und weiss, das Brot/das Lamm ist die Antwort: ist die Präsenz, welche die eigene berührt, umfasst und einschließt, bis hin zur Bekehrung. Da ist es eine bewegte Gemeinde, in aller Stille, die nicht für die Ohren mehr ist.

Wenn auch bei uns die Gemeinde kleiner wird: Wahrscheinlich sind wir da zuwenig präsent in den Häusern und Gasthäusern und allen möglichen Stätten, das mag sein. Immerhin lassen wir uns im öffentlichen Raum nicht ganz zur Seite drängen von all der Nullpräsenz, wie sie bald zur Weihnachtszeit hervorquellen wird. - Aber an unsrem Initiationsort, im Gottesdienst, da entfalten wir die Präsenz, und das teilt sich mit. Wer da nicht mehr kommt, der meidet eher die Präsenz, weil er nicht antworten will, weil er noch zögert - oder weil es anderswo billiger geht. Präsenz ist geschenkt, aber nicht billig.


DSC02014

Samstag, 16. Mai 2009

Endlich

bin ich wieder geflogen.
Ich habs insgeheim immer geglaubt.
Natürlich ist Fliegen anstrengend
und riskant -
aber unvergleichlich.

Wer das nur wegen Beschwerlichkeit
und Unglauben aufgibt. Wer
auf die Freiheit des Raumes
verzichtet und wie ein Huhn
am Boden bleibt.

Wie soll man dem
das Leben erklären.
Wenn er unten Körner pickt
und wartet, bis du runterfällst.
Und grinst.

Trotzdem hab ich
jetzt gewonnen, weil
seit Kindertagen, als das Glauben
einfach war,
mein Fliegen niemals widerlegt worden ist.

Mein Respekt vor den Abgründen
hat das eher
bestätigt als beeinsprucht.
Und mein Sturz
vom Dachboden letzten Winter
ohne eine einzige Schramme
war die Probe

Ja, Leute, ich bin
ein flugfähiger, so ist es.
Ich weiß, einige unter euch
wird das gar nicht überraschen.
Ihr kennt mich ja. Wie kann man
daran zweifeln

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Die am Rand sind

Vor Zeiten hat man sich die Welt wie eine Insel vorgestellt, von Wasser umringt, und der Himmel auf Berge am Rand gestützt. Klar umgrenzt von der Seite, von oben und von unten. Heute reden wir vom grenzenlosen Universum ohne Oben und Unten.

Aber das Denken hat sich nicht geändert, der Mensch ist gleichgeblieben. Als die Schiffe nicht jenseits des Atlantik hinunterfielen, hat man eben die Menschen herabgesetzt, die man in den neuen Ländern gefunden hat, und da hat die ganze Gesellschaft noch viel tiefer zu fallen begonnen, als von den Schiffen je befürchtet.

Die Ränder sind seither keineswegs verschwunden, sondern noch viel enger zusammengerückt. Die Berge, die an den Grenzen der Welt einst den Himmel getragen haben, verbarrikadieren nun unsere Heimat, die wir uns im Gelobten Land geschaffen haben, und sie tragen keinen Himmel, nur unseren Reichtum. Aber die Schutzzäune umgeben auch unsere Häuserblocks, sie sind quer durch Familien und Paare gespannt, und sogar die Herzen sind gepanzert, man sieht das am harten, unbeweglichen Gesicht.

Am Rand draußen haben wir im 16. Jahrhundert die Indianer gefunden, heute sind es Tschetschenen, unproduktive Senioren, unberechenbare Kinder oder unangepaßte Gläubige. Eigentlich fast alle. Nur in der Mitte, da ist das Wichtigste. Was da ist, das sollte im Laufe des Kritischen Oktober 2008 allmählich klarwerden. Wenn wir die Ränder unserer Gesellschaft beleuchten.

Samstag, 16. August 2008

Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme!

Ist es Uebermut?

Nichts zu sehen, nichts sicher zu wissen, nur eine Vermutung,
und dann sich auf ein so unsicheres Element hinauszubegeben, und auf solche Weise.
Zwar ist er ja ein Fischer, und er wird Erfahrung haben mit diesem Element, wenngleich er aber kaum schwimmen kann.
Aber gerade in dieser Nacht plagen sich die Fischer mit Gegenwind und hohem Wellengang. Das Element hat seine eigene Dynamik. Man lernt, sich ihr bis zu einem gewissen Grad anzuvertrauen, und dann kann man mit ihm umgehen, soweit es das zulaesst.

Und wie kommt Petrus in dieser Nacht zu seiner (spaeten) Jesuserkenntnis?
Die Gestalt auf dem Wasser wurde ja fuer ein Gespenst gehalten, in grosser Angst schrien sie - und versuchten, es so zu beschwoeren. In dieser Nacht, im Kampf mit dem Element, im Anblick dieser unsicheren Gestalt, gab er sich zu erkennen. Und er war trotz der Umstaende erkennbar, weil es ja ein Wiedererkennen war.
Die Israeliten haben bereits in der Nacht des Schilfmeeres Gott erkannt im Walten dieses Elements, das zuweilen traegt und zuweilen verschlingt. Gottes rettende Hand, obgleich gar nicht zu sehen. Vom anderen Ufer aus. Als Gerettete. Als von Fremdherrschaft Befreite. Das war die Gestalt, die sie gesehen haben hinterher, je spaeter, desto besser. Vielleicht erst richtig in der Exilszeit. Die Gestalt des Retters und Befreiers, der sich ihrer annimmt, sie aber auch herausfordert. Im Exil begann man sogar, das Element (probeweise) mit der Wueste gleichzusetzen. Was ist mit dir, Wasser....., was ist mit euch, Berge..... (Ps 114).

Weiters haben die Fischer Jesus auf dem selben See bereits als der Elemente Herr erkannt. Die Eigenstaendigkeit der Elemente erwies umso deulicher seine eigene Eigenstaendigkeit gegenueber den Fischern und den Elementen, im gleichen Boot damals. Aber nun: Auf dem selben Element ruhend, mit dem sie ringen. - Insofern ihnen gegenueber, und es kommt zu einer Konfrontation.
Aber derselbe Grund traegt sie beide - insofern also eine Gleichsetzung.

Und das ist nun der Grund fuer die Zuversicht des Petrus. Er hat den verbindenden, tragenden Grund erblickt, der das Schiff traegt und sie selbst, und dem auch Jesus sich anvertraut. Im WAlten des Elements Gottes rettende Hand erkannt, in der unsicheren Gestalt wiedererkannt. Jesus in der rettenden Hand Gottes. Der Auferstehungsglaube bahnt sich hier an, auch der Juenger Nachfolgeangebote ueber den Tod hinaus. Der Elemente Herr, und in ihrem Walten erkennbar. Im Tragen und im Hindern. Als Boden und als Grab. Als tragender Grund, und als verschlingender.

Und nun wir selbst.
Ohne sich mit dem Element zu befassen, koennte man gerade nur an Deck bleiben. Von dort koennen zwar Ufer und Haefen anvisiert werden, auch Fischgruende lassen sich eingrenzen - aber das Element wird nur vorausgesetzt, es selbst wird nicht erfasst. Man kann sich darauf bewegen, ohne seiner gewahr zu werden, man geht seinen Tagesgeschaeften nach und kann es dabei zu Geschicklichkeit und Erfolg bringen, und dennoch blieben die Fischer Nichtschwimmer. Denn das Element erschliesst sich nur in der Gotteserkenntnis.

Aber es traegt. Es oeffnet Wege, fuehrt Suchende und Fragende, und auch Jesus betritt es. Und es nimmt auf: Beginnt, Petrus aufzunehmen, als er zweifelt, nimmt die Toten auf, auch den Gekreuzigten - und gibt sie wieder frei:
Das Element, das die Fischer traegt zu Jesus, der Boden, auf dem wir wandeln in all unseren Nichtigkeiten, da wir uns immerfort im Boot festzumachen suchen, und dort Gelaender und Gebinde errichten noch und noch, und mit ihnen allesamt schwanken unentwegt, der Grund, der Gott selbst uns ist, und dem ganzen Universum, jeglichem Geschoepf, damit es darauf erscheine und wieder darin aufgenommen werde.

Aber wenn er sagt: Komm, dann solltest du ihn wiedererkennen, nicht Gespenster, und dann geh, du wirst nicht versinken.



(Auf hoher See geschrieben)

Sonntag, 13. April 2008

1. letzte menschen

„Er hat nichts, wofür er lebt. es lebt um ihn herum“, beschreibt Tobias Moretti den von ihm dargestellten Polizisten Thomas Dorn: „ein prototypischer, heutiger, überforderter Mensch, der in einem Vakuum lebt“, zu sehen in „Das Jüngste Gericht“, Regie Urs Egger. Die Kommissare werden auch immer menschlicher, keine Weisen mehr, unbestechlich, schlau, sondern behaftet mit privaten Problemen wie du und ich.
Aus den Bergen des hohen Geistes kam einst Zarathustra in die Stadt herunter, um die Menschen den Übergang zu lehren, und bei ihrem Stolz spricht er sie an: So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist d e r l e t z t e M e n s c h. .... Seht! Ich zeige euch d e n l e t z t e n M e n s c h e n. „Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?“ – so fragt der letzte Mensch und blinzelt.

Dieser letzte Mensch begegnet in seiner Überforderung. Er lebt einigermaßen bequem und hat keine großen Ziele, nichts, was ihn wahrhaft herausfordern würde, nichts, wofür zu kämpfen sich lohnt. Immerhin, ein Kommissar erhebt sich aus der Gleichmäßigkeit, beginnt zu forschen und zu fragen: aber wird dieser letzte Mensch vor den großen Herausforderungen bestehen können? Das Jüngste Gericht, die letzte, größte, umfassendste Infragestellung des Menschen, seiner Taten und Ziele. Aber Zarathustra sieht den letzten Menschen blinzeln: er lacht ihn aus, er nimmt ihn nicht ernst, er verweigert die Begegnung. Der letzte Mensch ist der verachtete und verächtliche Mensch.

Siehe/Höre: http://www.youtube.com/watch?v=dbI5K0AzNHI

Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde.

Hebr 11,8

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