Samstag, 22. Dezember 2007

Flüchtige Moderne

Flüchtig/flüssig: Flüssigkeiten und Gase bewegen sich und verbrauchen Zeit, während Festkörper in ihrer Form verharren. Modernisierung wurde stets als Verflüssigung von zu Starrem verstanden: Zerschlagung von Formen. Aber es sollten neue Stabilitäten entdeckt werden:
instrumentelle Rationalität (Max Weber),
determinierende Rolle der Ökonomie (Karl Marx).
Die heutige Herrschaft des Ökonomischen, dessen Ordnung sich ununterbrochen reproduziert, nennt Claus Offe „Null-Option“. Elemente:

o Demontage aller sozialen Verbindungsglieder, weil sie menschliche Handlungsfreiheit einschränken würden,
o Geschwindigkeit, Verschwinden, Passivität (Richard Sennett)
o gesellschaftliche Position MUSS selbst definiert werden
o Eroberung des Raums – Aufteilung der Welt, Ausbreitung der Siedlungen
o Kriege sind keine Eroberungskriege mehr, die Territorium besetzen wollen, sondern rasche Schläge und Verschwinden, um Hemmnisse des globalen Machtflusses zu beseitigen (vgl. Golf I, Balkan, Terrorismus)
o Bodenhaftung verliert an Bedeutung: transnationale Ökonomie


Freiheitsbegriff: Ein Leben auf der Basis augenblicklicher Impulse bedeutet eine geistlose Existenz (Anthony Giddens)
Kritik an der Realität als Pflichtaufgabe der Normalexistenz: wir sind „reflexive“ Wesen in permanenter Selbstbeobachtung und Unzufriedenheit, immer auf dem Weg der Verbesserung (Giddens) – aber die komplexen Steuerungsmechanismen werden nicht durchschaut: Hilflosigkeit (Leo Strauss)

Moderne Gesellschaft ist wie ein Campingplatz: Jeder kann sich dort niederlassen, bekommt Stellplatz, zahlt für Strom- und Wasseranschluß, jeder nach seinen eigenen Plänen. Die Autorität des Platzverwalters wird anerkannt, die Nachbarn sollen nicht laut sein. Aber:
o kein gemeinsamer Hasushalt
o keine Systemkritik, höchstens Kritik der Konsumenten

Der bisherige Typ moderner Gesellschaft, auf den sich die traditionelle kritische Theorie Adornos und Horkheimers bezog, suchte den Totalitarismus:
o die fordistische Fabrik (mechanisierte Menschen)
o Bürokratie (Verwaltungsdienste ohne Persönlichkeit)
o Big Brother als umfassende Kontrolle
o Konzentrationslager bzw. GULag als Belastungstest unter Laborbedingungen

Seit Lessing: Emanzipation vom Glauben an die Schöpfung – zurückgeworfen auf sich selbst – unfähig zum Stillstand: modern sein heißt, sich immer ein Stück voraus sein.
Modernisierung = Selbstverwirklichung der Individuen; statt Kampf um gerechte Gesellschaft nun Kampf um Menschenrechte (eigene Idee des Glücks, eigener Lebensstil)

Die Gesellschaft DER Individuen (Norbert Elias): reziproke Erschaffung der Indiv. durch Gesells. und umgekehrt.
Laufende Individualisierung ←→ Umgestaltung der Netzwerke gegenseitiger Abhängigkeit
Menschen werden nicht mehr in ihre Identität hineingeboren (sozial, beruflich, geschlechtlich) – die frühe Moderne hatte die Menschen entwurzelt, um sie neu einzuordnen: Entwurzelung als Schicksal, Neuverortung als AUFGABE des Einzelnen → reflexive Moderne (Ulrich Beck): Bettenknappheit wie „Reise nach Jerusalem“, immer in Bewegung, kein Ankommen, nur flüchtige Beziehungen, keine Aussicht auf Wiedereinbettung. Also: Individualisierung ist ein Schicksal, nicht frei gewählt.

Tocqueville: in die Freiheit entlassene Menschen werden indifferent: das Individuum ist der größte Feind des BÜRGERS (Person, die ihr Wohlergehen an das der Stadt knüpft) – während Individuen außer Eigeninteressen noch Allgemeininteressen verfolgen: damit füllen sie den öffentlichen Raum.
Die ÖFFENTLICHKEIT wird durch die Privatsphäre kolonisiert: geteilte Intimität als Form der „Vergemeinschaftung“, öffentliche „Interesse“ nur mehr Neugier des Publikums.

Wachsender Widerspruch zwischen Individuen DE JURE und Individuen DE FACTO, die Kontrolle über das eigene Schicksal erhalten. Zerfall des öffentlichen Raums, der zu einem riesigen Bildschirm geworden ist, auf den private Sorgen projiziert werden. Gestaltungsmacht ist daraus verschwunden, keine öffentlichen Anliegen. Selbstgemachte Identitäten: zerbrechliche Partnerschaften, große Erwartungen, kaum Institutionalisierungen.

Ideen der herrschenden Klassen = herrschende Ideen (Karl Marx): heute also nach mehrhundertjähriger Herrschaft kapitalistischer Lenker Totalherrschaft kapitalistischer Ideen:
Fordismus: Rationalisierung und Mechanisierung der Produktion, Trennung von Intelligenz und manuellen Vorgängen, verstärkte Kontrolle, verstärkte Anreize (Bezahlung).
Lenin: „sowjetisches Organisationsmodell“ = wissenschaftliche Arbeitsorganisation außerhalb der Fabriksmauern, mit dem Ziel, das soziale Leben zur Gänze zu durchdringen.
Der „schwere“ Kapitalismus hielt die beschäftigten Arbeiter fest auf dem Boden – heute reist das Kapital mit leichtem Gepäck (Handy, Laptop): ständige Bewegung der Beschäftigten, Güter und Firmen.


(Zygmunt Baumann)

Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde.

Hebr 11,8

Hallo Besucher!

Du kannst Kommentare hinterlassen auf diese Seite!

Aktuelle Beiträge

final
Heute beginnt die Rueckreise. Ausgecheckt ist bereits...
weichensteller - 7. Sep, 20:25
Puorto Lopez
der ewige Staub, den der Ozean unaufhoerlich ins...
weichensteller - 7. Sep, 00:58
Pazifik im Maerz
Wie junge Kaetzchen uebermuetig und verspielt so liegen...
weichensteller - 6. Sep, 19:06
Dschungel
Wir fahren eine gute Stunde bis zum Fluss. Der Wagen...
weichensteller - 4. Sep, 00:31
Schamane
Schwarze Augen aus dem Finstern klar und ruhig auf...
weichensteller - 2. Sep, 16:38

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Bücher in Diskussion

Suche

 

Status

Online seit 6386 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 7. Sep, 20:27

Credits

wer kommt

Free counter and web stats

amazonas
bogota
des menschen überdrüssig
essays
fragen über fragen
gedicht
jardin
kino
medellin
pazifik
predigten
quito
rand
texte
tumbaco
unterwegs
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren