Samstag, 22. Dezember 2007

Flüchtige Moderne

Flüchtig/flüssig: Flüssigkeiten und Gase bewegen sich und verbrauchen Zeit, während Festkörper in ihrer Form verharren. Modernisierung wurde stets als Verflüssigung von zu Starrem verstanden: Zerschlagung von Formen. Aber es sollten neue Stabilitäten entdeckt werden:
instrumentelle Rationalität (Max Weber),
determinierende Rolle der Ökonomie (Karl Marx).
Die heutige Herrschaft des Ökonomischen, dessen Ordnung sich ununterbrochen reproduziert, nennt Claus Offe „Null-Option“. Elemente:

o Demontage aller sozialen Verbindungsglieder, weil sie menschliche Handlungsfreiheit einschränken würden,
o Geschwindigkeit, Verschwinden, Passivität (Richard Sennett)
o gesellschaftliche Position MUSS selbst definiert werden
o Eroberung des Raums – Aufteilung der Welt, Ausbreitung der Siedlungen
o Kriege sind keine Eroberungskriege mehr, die Territorium besetzen wollen, sondern rasche Schläge und Verschwinden, um Hemmnisse des globalen Machtflusses zu beseitigen (vgl. Golf I, Balkan, Terrorismus)
o Bodenhaftung verliert an Bedeutung: transnationale Ökonomie


Freiheitsbegriff: Ein Leben auf der Basis augenblicklicher Impulse bedeutet eine geistlose Existenz (Anthony Giddens)
Kritik an der Realität als Pflichtaufgabe der Normalexistenz: wir sind „reflexive“ Wesen in permanenter Selbstbeobachtung und Unzufriedenheit, immer auf dem Weg der Verbesserung (Giddens) – aber die komplexen Steuerungsmechanismen werden nicht durchschaut: Hilflosigkeit (Leo Strauss)

Moderne Gesellschaft ist wie ein Campingplatz: Jeder kann sich dort niederlassen, bekommt Stellplatz, zahlt für Strom- und Wasseranschluß, jeder nach seinen eigenen Plänen. Die Autorität des Platzverwalters wird anerkannt, die Nachbarn sollen nicht laut sein. Aber:
o kein gemeinsamer Hasushalt
o keine Systemkritik, höchstens Kritik der Konsumenten

Der bisherige Typ moderner Gesellschaft, auf den sich die traditionelle kritische Theorie Adornos und Horkheimers bezog, suchte den Totalitarismus:
o die fordistische Fabrik (mechanisierte Menschen)
o Bürokratie (Verwaltungsdienste ohne Persönlichkeit)
o Big Brother als umfassende Kontrolle
o Konzentrationslager bzw. GULag als Belastungstest unter Laborbedingungen

Seit Lessing: Emanzipation vom Glauben an die Schöpfung – zurückgeworfen auf sich selbst – unfähig zum Stillstand: modern sein heißt, sich immer ein Stück voraus sein.
Modernisierung = Selbstverwirklichung der Individuen; statt Kampf um gerechte Gesellschaft nun Kampf um Menschenrechte (eigene Idee des Glücks, eigener Lebensstil)

Die Gesellschaft DER Individuen (Norbert Elias): reziproke Erschaffung der Indiv. durch Gesells. und umgekehrt.
Laufende Individualisierung ←→ Umgestaltung der Netzwerke gegenseitiger Abhängigkeit
Menschen werden nicht mehr in ihre Identität hineingeboren (sozial, beruflich, geschlechtlich) – die frühe Moderne hatte die Menschen entwurzelt, um sie neu einzuordnen: Entwurzelung als Schicksal, Neuverortung als AUFGABE des Einzelnen → reflexive Moderne (Ulrich Beck): Bettenknappheit wie „Reise nach Jerusalem“, immer in Bewegung, kein Ankommen, nur flüchtige Beziehungen, keine Aussicht auf Wiedereinbettung. Also: Individualisierung ist ein Schicksal, nicht frei gewählt.

Tocqueville: in die Freiheit entlassene Menschen werden indifferent: das Individuum ist der größte Feind des BÜRGERS (Person, die ihr Wohlergehen an das der Stadt knüpft) – während Individuen außer Eigeninteressen noch Allgemeininteressen verfolgen: damit füllen sie den öffentlichen Raum.
Die ÖFFENTLICHKEIT wird durch die Privatsphäre kolonisiert: geteilte Intimität als Form der „Vergemeinschaftung“, öffentliche „Interesse“ nur mehr Neugier des Publikums.

Wachsender Widerspruch zwischen Individuen DE JURE und Individuen DE FACTO, die Kontrolle über das eigene Schicksal erhalten. Zerfall des öffentlichen Raums, der zu einem riesigen Bildschirm geworden ist, auf den private Sorgen projiziert werden. Gestaltungsmacht ist daraus verschwunden, keine öffentlichen Anliegen. Selbstgemachte Identitäten: zerbrechliche Partnerschaften, große Erwartungen, kaum Institutionalisierungen.

Ideen der herrschenden Klassen = herrschende Ideen (Karl Marx): heute also nach mehrhundertjähriger Herrschaft kapitalistischer Lenker Totalherrschaft kapitalistischer Ideen:
Fordismus: Rationalisierung und Mechanisierung der Produktion, Trennung von Intelligenz und manuellen Vorgängen, verstärkte Kontrolle, verstärkte Anreize (Bezahlung).
Lenin: „sowjetisches Organisationsmodell“ = wissenschaftliche Arbeitsorganisation außerhalb der Fabriksmauern, mit dem Ziel, das soziale Leben zur Gänze zu durchdringen.
Der „schwere“ Kapitalismus hielt die beschäftigten Arbeiter fest auf dem Boden – heute reist das Kapital mit leichtem Gepäck (Handy, Laptop): ständige Bewegung der Beschäftigten, Güter und Firmen.


(Zygmunt Baumann)

Mittwoch, 5. Dezember 2007

von der theorie der überforderung

Nehmen wir einmal an, die heutigen Menschen wären von ihrem Leben überfordert. Ihnen wäre einfach alles zu viel, der fordernde Beruf, der ihnen alles abverlangt, ihren Fleiß, ihre Kreativität, ihre Kommunikationsfähigkeit. Dann der fordernde Ehepartner, der Ansprüche stellt. Und natürlich der fordernde Nachwuchs, der nicht nur die neuesten Computerspiele beansprucht, sondern auch Zuwendung und Zeit. Halten wir uns gar nicht auf mit Vergleichen zu früheren Zeiten, mit Fabriksarbeit oder Bauernleben, mit Wochenstunden und Arbeitsbedingungen. Denn es könnte ja sein, dass Menschen früherer Generationen andere Ressourcen hatten, und das sie darum Schwieriges anders aufgefaßt haben. Eine Theorie der Überforderung müßte daher nach den Sinnkonzepten fragen, mit denen Menschen ihre Situationen verstanden und bewältigt haben.

Erste Station würde die Theorie bei der Frage der Selbstbestimmung machen, welche die Aufklärung gestellt hat. Die freie Selbstbestimmung der Vernunft ist ja seit Kant die Basis des modernen Subjekt-Konzeptes. Der Mensch entscheide nach Vernunftgründen, nach welchen Richtlinien er sein Leben gestalten wolle, seine Berufsplanung, sein Familienleben, seine Weltanschauung und seinen Glauben. Das setzt ein hohes Maß an Einsicht und Reflexionsvermögen voraus. Umso mehr, als es dieses Menschenbild ja nicht mehr erlaubt, einfach so weiter zu machen: Denn damit ist ja die Tradition diskreditiert. Nur weil die Alten so dachten, ist kein Argument für mich. Und leider, die Umfragen zeigen es sehr deutlich: sie haben keine Argumente! In die Kirche gehen, nur wegen des Glaubens? Leben nach dem Tod? Sündenvergebung? Mission? Der Glaube ist ja eben kein Argument. Ist die Aufklärung an dieser Generation gescheitert?

Aber an unserer Generation: Wir glauben nur, was beweisbar oder argumentierbar ist. Sagen wir.

Irgendeine Station, möglichst eben nicht die erste, würde natürlich auch die Reformation untersuchen. Als Geisteshaltung, die einen Gottesglauben fundieren will außerhalb der rissig gewordenen Tradition, und besonders außerhalb des Dogmas und der Kirchenautorität. Aber diese Bestimmung würde selbstverständlich nicht auf eigene Bestimmung, sondern auf Gnade zurückgehen. Das Fundament dieser Haltung ermöglicht ein neues Schriftverständnis, auch eine neue Schriftauswahl, und besonders eine neue Kirchenverfassung. Es läßt sich das nicht ableiten aus den politischen Bedingungen der Renaissancezeit, sondern enthält ein bleibendes Element neuzeitlichen Menschseins, das in heutigen sehr säkular gewordenen Kirchen wiedergefunden werden kann.

Eine andere Station müßte bei der keimenden Wissenschaftsgläubigkeit gemacht werden, meinetwegen beim beginnenden Empirismus und Rationalismus, aber jedenfalls beim Evolutionsbegriff, der, von der Biologie der Arten ausgehend, heute das ganze Gebäude wissenschaftlichen Denkens und Meinens trägt. Der Gedanke also, etwas wäre verstanden, wenn seine Ursachenkette bekannt wäre, bis zu einem Weltbild immerwährenden Werdens und Vergehens. Dabei können ruhig auch die Grenzen oder Verfeinerungen dieser Erklärungsmodelle durch die Quantenmechanik und Chaostheorie zur Darstellung kommen, die das Bild wissenschaftlicher Rationalität insgesamt aber nicht zur Disposition stellen werden.

Der Hauptteil der Theorie aber sollte sich mit den heutigen Lebensäußerungen beschäftigen. Dabei würden vermutlich die vielen Wahlmöglichkeiten des Individuums in der modernen Demokratie im Zentrum stehen. Denn wenn nicht nur Regierungen und Parteien zur Wahl stehen, nicht nur Berufe und Partner, Kinderwunsch und Lebenskonzepte, Weltanschauungen und Religionen – manches davon erst seit wenigen Jahrzehnten und folglich noch ohne großen Erfahrungswerte -, sondern auch solche Fragen wie nach der Kontaminierung und Herkunft der Lebensmittel oder den Produktionsbedingungen und Transportwegen unserer Elektrogeräte und Bekleidungen: dann steigen die meisten aus. Die Wahlmöglichkeit ist zur Belastung geworden. Die leicht abrufbare Information verpflichtet ja, und die unerträgliche Dauerverpflichtung (ist das schon einmal mit der Leibeigenschaft verglichen worden?) erzieht zur Ignoranz, welche ich als beständigste Haltung erwachsener Individuen erkenne. Haben Sie bedacht, welche Auswirkungen die Information des Arztes an die werdende Mutter hat, dass ihr Kind möglicherweise mißgebildet zur Welt käme, wenn sie das wolle – und nicht dieses Wachstum des neuen Menschenlebens rechtzeitig beende? Dass die Mutter nunmehr die Existenz des behinderten Kindes rechtfertigen muß? Oder die Angehörigen des alten, kranken Menschen dessen Pflege zu Hause oder in der Anstalt? Oder, gestatten Sie diese Argumentation, der Arbeitslose seine erwerbsuntätige Existenz, wie auch die Hausfrau?

Besonders würde ich von einer Theorie der Überforderung Aufschluß erwarten über die Funktionalisierung des Menschen, deren Effizienzkriterien er sich willenlos (oder jedenfalls widerstandslos) zu unterwerfen scheint. Wie kann ein modernes Subjekt sich so bereitwillig den Zwängen der Fabrikation des öffentlichen und privaten Lebens unterwerfen, deren Werbemechanismen und Konsumzwänge so offensichtlich alle Lebensbereiche beherrschen und diese Herrschaft völlig ungeniert und unwidersprochen zu Markte tragen? Warum läßt sich der aufgeklärte Bürger so bereitwillig reduzieren, warum unterstützt er noch seine eigenen Parasiten, die aus ihm jede Eigenständigkeit saugen, um damit ein System zu nähren, den Markt und seinen Wettbewerb, auf dem er recht und schlecht überleben kann, dauernd vom Absturz bedroht? Mit Beifall belohnt wird, wer wieder Pfründe einer Gruppe bloßstellt, um sie gleichzumachen, obwohl wir lieber Überlegenheit durch Leistung und Rücksichtslosigkeit anerkennen als durch Geist – vorläufig wenigstens. Wenn, zumindest in Mitteleuropa, unaufhörlich der Gräueltaten der Nazizeit gemahnt wird, die die anderen begangen haben, so ist eigentlich der moralische Fortschritt im Menschenbild nur schwer zu erkennen, oder im Vergleich zum Imperialismus und zur Kolonialpolitik: nur die Mittel scheinen verändert, kaum die Sprache.

Es dürfte vielleicht nicht so schwer sein, eine solche Theorie überzeugend darzustellen, und ist bestimmt bereits geschehen. Aber die Mittel der Gegensteuerung scheinen doch recht bescheiden, Schule und Politik, gesellschaftsbildende Elemente, noch gerade mit der Effizientmachung des Menschen beschäftigt: und die Kirche? Man möge nicht von der Dringlichkeit der Aufgabe auf den Ernst der Arbeit schließen, auf Einhelligkeit in der Absicht und Einsatz aller Kräfte. Das wäre nämlich ein Effizienzargument.

Montag, 24. September 2007

Kärnten und das Ende

Am liebsten hören die Angehörigen, was der/die liebe Verstorbene getan hat im Leben, Verdienste für die Allgemeinheit, meistens aber für eben diese Angehörigen. Ein ganzes Leben für die Familie, immer für uns Kinder da, schwere Zeiten, mit wenig eine Existenz gegründet. Sehr oft muß ich erst nachfragen nach dem Beruf, nach dem früh verstorbenen Gatten. Manchmal ist es den Angehörigen zuwenig, was ich dann über die Vergangenheit sage von den Einzelheiten, die sie mir vorgelegt haben, und zuviel von der Ewigkeit.
Bischof Kapellari hat mich, als ich in Kärnten auftauchte, gewarnt vor dem ausgeprägten Totenkult hier. Es sind stets mehr Menschen am Friedhof als in der Kirche, besonders in den Dörfern. Der bedeutende und einzige Kärntner Schriftsteller, der in seiner Heimat geblieben ist, Josef Winkler, schreibt unentwegt vom Tod.
Der Friedhof ist konfessionsverbindend und generationsverbindend. Am Sarg tritt die verzweigte Familie zusammen. Die Nähe zum Verstorbenen wird am Grab gesucht, nicht in der Eucharistiefeier. Die Nennung des Namens scheint wichtiger als das Gebet. Die Vorstellung, der Tote würde in der Erinnerung leben (vielleicht nur in ihr), kann mit einem Jenseits und erst recht mit der Ewigkeit wenig anfangen.
Der Blick geht zurück, nicht voraus, nach unten, nicht noch oben. Den meisten Menschen würde, dass in der Ewigkeit keine Ehe existiert, weil alle Menschen in Liebe miteinander und mit Gott verbunden sind, blasphemisch erscheinen. Andererseits gibt es aber keine volkstümliche Vorstellung von der leiblichen Auferstehung.
Dabei ist der Tod das einzig sichere und endgültige, das in unserer sich unaufhörlich verändernden Welt existiert. Wir modernen, wissenschaftlich empfindenden Menschen vermessen die Welt bis zu den Atomkernen und meinen, das Geheimnis des Lebens mit den Genen in die Hand nehmen zu können. Wir fahnden nach den Jungbrunnen und wähnen sie in Sport und gesunder Ernährung, in Genuss und Gesellschaft, in Planung und Innovation gefunden zu haben. Aber wir verschieben nur Fristen und dünnen das scheinbar Gewonnene weiter aus.
Es ist der Gegensatz, den wir scheuen. Um ihn zu umgehen, bauen wir Brücken: die Sterbeerlebnisse Reanimierter, die Unendlichkeit des Universums, die sogar mein Schuldirektor mit der Ewigkeit in eins setzt, und er ist Physiker und Mathematiker.
Der fundamentale Unterschied zwischen den schnellen und unbedeutenden Ereignissen unserer Tage und der wesenhaften Stille, die uns erwartet, zwischen der atemlosen Vergänglichkeit und dem Eigentlichen, das wir sein werden, und ganz besonders der Unterschied zwischen unserer Selbstbezogenheit, in der wir das Glück suchen, und der Bezogenheit auf Gott, in der die wirkliche Fülle ist. Und spätestens hier sieht man: Ein Leben, das um die Ewigkeit weiß, verläuft anders und hat eine andere Tiefe als eines, das in der Endlichkeit aufgehen will. Hat man nicht bemerkt, dass jene den Menschen klein machen, die die Ewigkeit negieren, aber im Angesicht des Todes seine Würde sichtbar wird?
Der Oktober wird uns zeigen, wie viele Unterschiede es da im Leben gibt: gegenüber Sterbenden, die aus dem täglichen Leben in Anstalten ausgezogen sind, gegenüber Ungeborenen, die zu einer Krankheit erklärt werden oder gegenüber Leid, das für sinnlos gehalten wird. Und dieser Oktober wird insofern ein kritischer sein, weil im Umgang mit dem Tod ja wir Lebende offenbar werden. Vor dem Schweigen des Todes wird unser Leben umso beredter.

Dienstag, 11. September 2007

Die Auflösung des Papstes

Gut, wir haben gesehen, dass er wirklich da war, im Fernsehen oder an Verkehrstaus, obwohl die ja auch andere Ursachen gehabt haben können, wir haben gehört, er hätte etwas zur Abtreibung gesagt, die Fristenlösung sei keine Lösung und kein Recht, immerhin eines der bestgehüteten Tabus unserer Zeit, sogar Aufzeichnungen dazu sind untersagt, in das im Beamtenstaat Österreich, keine Statistiken, nur Schätzungen, sogar Ärzte fürchten um ihre Stellung, wenn sie sich dazu äußern öffentlich würden, ein öffentliches Tabu sozusagen, und die Kirche rüttelt daran und bekommt dafür Schläge, nun sage einer, die Kirche hätte sich nicht gewandelt, und gerade der Papst, höchster Würdenträger, sticht in dieses Wespennest, um das wir alle große Bögen machen, auch über die Protestanten hat er schon einmal etwas gesagt, in der selben Rede, in der es auch um den Islam ging, das hat die Öffentlichkeit alles registriert, sie hat sich augenblicklich echauffiert und im selben Moment ihrer Entrüstung gebrüstet, sich zurückgelehnt und den Kopf geschüttelt weltweit, und dann Steine geworfen und Kirchen angezündet und einige Geistliche ermordet, was sie ja seit Jahrhunderten tut, aber das weiß die Öffentlichkeit nicht, denn die Öffentlichkeit hat kein Gedächtnis, sie entwickelt sich auch nicht, es sind Rituale, gleichbleibende unwillkürliche Gesten, Reflexe, könnte man sagen, das Schnauben und Zähnefletschen verläuft in den Nervenbahnen der Welt, die sofort gereizt sind, wenn einer von Wahrheit spricht so wie meine Katze, wenn man ihr das Futter wegnimmt, denn das kann nicht stehenbleiben, so groß darf man den Menschen nicht machen, dass er sogar wahrheitsfähig sei, nein, der Mensch ist nur als Reflex zulässig, solange er in die Einkaufszentren rennt und dadurch die Wirtschaft belebt und Arbeitsplätze schafft, man sagt ihm das durch die Blume, und er reagiert, er rennt, man kann die Uhr stellen nach ihm, und Reflexe fragen nicht, niemand will wissen, was er da zusammenkauft, woher das kommt und wer das macht, und was dann daraus wird,/
und so fällt auch niemandem auf, dass uns die Menschen ausgehen, zwar wettert man gegen den Import von Menschen, damit sie nicht ganz ausgehen, aber Importe sind schlecht für die Bilanz, also ohne Menschen, und da braucht auch der Papst nicht dreinreden, sonst drehen wir ihn durch die Maschine, damit er so weich wird wie die Sonntagsreden vom christlichen Sonntag oder den christlichen Wurzeln Europas, ein Salbadern, das schon zu viele im Mund gehabt haben, oder den Schutz des Lebens oder die Heiligkeit der Schöpfung, das haben wir schon herabgestuft zu bunten Vorgärten und naturbelassenen Flußufern, allenfalls einmal eine Bergwanderung für die Naturverbundenheit, es soll halt dem Verkehr und der Entwicklung nicht im Weg sein, wer wollte die Entwicklung behindern, jetzt, wo wir schon so weit sind mit der Abschaffung des Menschen,/
und dann kommt der Papst, und wir hören, dass nur drei Gegendemonstrationen angemeldet sind, nur drei bisher, sagt der Nachrichtensprecher, nur drei angemeldet, als wäre das zuwenig, vielleicht sollten wir uns schuldig fühlen und zur Tat schreiten, oder als wären die übrigen Gegendemonstrationen illegal, weil nicht angemeldet bisher, was aber weniger schlimm wäre, denn es ist eine tolerante liberale Öffentlichkeit,/
und dann sehen wir in der ersten Zeile, wer aller auch dort war in Mariazell, etwa der bekennende agnostische Bundespräsident oder die islamischen Jugendlichen, und allen hat es gefallen, trotz Regen, Show oder Seelenmassage, besser als letztes Mal, gut, man kann auch gegen diesen Prunk sein, sagen meine Gäste, wozu soviel Spektakel um den alten Mann, während andererseits das Spektakel im neuen Fußballstadion am Vortag hierzulande beinahe mehr Gehör fand, vom Spiel selbst wollen wir schweigen, wenn nur wenigstens das Stadion voll war,/
und abends diskutieren dann die würdigen Herrn und Damen darüber, was das alles gebracht hat, welche nachhaltigen Wirkungen zu erwarten sind, und so sind bestimmt wichtige Impulse ausgegangen von Mariazell, wofür uns die Pastoralämter ja auch ein Jahr lang mit Papieren und Anregungen versorgt haben, aber es wird wieder keinen Fortschritt gegeben haben in den wirklich wichtigen Fragen der heutigen Kirche, die die Menschen bewegen, und das sind der Zölibat und die Frau in der Kirche, versichert uns die Herrn und Damen, denn an diesen Fragen kranke die katholische Kirche, sagt man uns seit 20 Jahren, viele haben das unterschrieben, aber die Kirche ist ja leider noch keine Demokratie, wie auch der menschliche Leib, dessen Gesundheit und Wohlergehen nicht mehrheitlich festgelegt wird,/
und so ist zwar das Krankmachen gelungen in diesen Jahrzehnten, diese beste der Wiener Eigenarten, die ich hier in der Provinz beinahe vermisse, hier wächst alles wie Kraut und Rüben, unreflektiert und aufs Geradewohl, da hält man sich nicht mit ideologischen Grabenkämpfen auf, gut ist, was uns nützt, uns, die es uns richten können, das ist einfach und natürlich und ideologiefrei und reflexionsfrei, während in Wien alles argwöhnisch beobachtet wird und dann, im kritischen Moment, abgeschossen, das ist innerhalb der Kirche so und gegenüber der Kirche, noch und noch habe ich das erfahren in meiner Ausbildungsstätte und in den Ausbildungspfarren, Gott hab sie selig, aber auch in der Politik, in der Kunst, oder etwa an der Universität, was wurde ich da gelobt für meine Eigenständigkeit, solange ich nur vor mich hin arbeitete, aber als referierender Fachmann, das wäre eine Konkurrenz, und so streicht man mich von der Liste, die Angst um die eigene Position scheut keine Peinlichkeit,/
und so befinden wir uns am Abend der Tage mit dem Papst wieder in den Zölibatsritualen, aus denen, wie uns würdige und besorgte Damen und Herrn versichern, das kirchliche Leben besteht und die zeitgemäße Hoffnung der Kirche, und so werde ich mir wieder bewußt, dass keine der Pfarren, in denen ich bisher gearbeitet habe, genügend zeitgemäß war, denn da ging es immer um Fragen wie der nach Gott oder, wie man Menschen heranführt an ein kirchliches Leben, oder wie man an Gott glauben kann, die auch der Papst stellt, oder um Fragen des Gebets oder des Zusammenlebens zwischen Eltern und Kindern, Männern und Frauen, und wir Priester, die an diesen Fragen teilhaben, werden von diesen abendlichen Herrn und Damen für inkompetent erklärt, weil die Teilhabe an der Entwicklung der Schulkinder, der Kommunionkinder und Firmkandidaten nicht zählt, oder das Mitleben mit jungen oder älteren Ehepaaren, sondern anerkannt wird nur, wer selbst von der Scheidung bedroht ist, aber alle diese Abwertungen wiederholen sich ja seit Jahrzehnten, die Teilnehmer an den Analysen bleiben, man braucht nur den Namen zu hören und kennt den Diskussionsverlauf, oder überhaupt nur die Anfangsbuchstaben, oder eigentlich genügt schon die Sendezeit, um 18.00 Uhr sprechen, und 22.00 Uhr diskutieren, es ist erstaunlich, wie fortschrittlich und liberal die Herrn und Damen Kritiker sind, von denen ich manche seit Jahrzehnten kenne, graue Mäuse und völlig unscheinbar und bieder, die nichts davon ahnen, dass Nietzsche den Sklavenaufstand der Moral angekündigt hat in der Herrschaft der Unscheinbaren, denen die Kirche Raum und Boden gegeben hat, zu Wort zu kommen, oder davon, wie Kierkegaard über die Pfaffen schimpft, die mit selbstherrlichen und populistischen Reden das Christentum abschaffen, sondern sich im Gegenteil ehrliche Sorgen machen um die Kirche unserer Tage, und ich gehe wieder in mich und hinterfrage meine Unzeitgemäßheit, weil ich keine großén Zölibatsprobleme habe, sondern anstelle von Sorgen um Frau und Kind Sorgen habe um das Glaubenswachstum meiner Gemeinde, aber die würdigen Herrn und Damen sind geduldig, sie werdens schon noch einige Male wiederholen, bis mir endlich der Knopf aufgeht und ich den Fehler bemerke, an dem die ganze Kirche leidet weltweit, und sehen Sie, auf diese Weise ist der Papst verschwunden, dessen Unfehlbarkeit genau reguliert ist und nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen beansprucht wird, zwei Mal ist das eingetreten in der Geschichte, während sich die Herrn und Damen allabendlich unfehlbar im Dialog befinden und die Wahrheit verkünden, der nicht widersprochen wird, und zwar aus Sorge, während sie recht gut leben im Pelz der Kirche, gut ernährt von ihren Säften, und dafür da und dort ein Jucken verursachen, so daß wir uns kratzen werden am Abend dieses Tages, an dem Tausende von uns gepredigt haben zu Tausenden über die Entschiedenheit der Nachfolge Jesu, der nicht Massen sucht, sondern Glauben und Vertrauen, und solche lieber wegschickt, die ihr Kreuz nicht tragen können, anstatt sie alle zu locken und zu ködern mit verbilligten Eintrittskarten, die Sorge Jesu scheint geradezu den Überredeten zu gelten, und nicht den Überzeugten, denn was wäre ein Fundament ohne Turm, während wir den Leuten die Baugründe nachwerfen, irgendetwas wird dort schon entstehen, und in diesem Rübenacker wohne ich und fahre zickzack zwischen meinen Pfarren,/
wie Ikonen aufgerichtet, gut sichtbar aufgestellt im Abendprogramm und beleuchtet, diese Zunftmeister der modernen liberal-kritischen Kirche, und haben in den Jahrzehnten ihrer Herrschaft eine Zunft hinter sich gesammelt, die mit Inbrunst ihre Parolen wiederholt und unmerklich eine Umwertung vollbracht hat, die Nietzsche noch nicht gekannt hat, nämlich was Kritik ist, und was als kritisch gilt, und während die Theaterkritiker noch immer im Dialog sind, dessen Ergebnis von Jahr zu Jahr das gleiche ist und leider noch immer den Dialog vermissen, kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass es ein anonym verfaßtes Stück ist, dessen Darsteller sie eben sind, während der Kritiker still zuhause angelangt ist mit einem stillen Lächeln, das bedeutend mehr zu sagen vermag als viele Worte

Sonntag, 10. Juni 2007

Vor 11 Jahren war ich zum ersten Mal

in Istanbul. Ich hatte 24 Stunden Aufenthalt vor meiner Weiterreise nach Israel. Ich hatte den Galataturm gefunden, und nun saß ich auf einer Bank in dem kleinen Park unter dem Turm, genau an der Stelle, an der uns Propheten mein Freund Mete letzten Sommer das frühere Stadttor von Galata gezeigt hat. Ich saß auf dieser Steinbank, genoß den Vormittag und schrieb etwas in mein Notizbuch, oder vielleicht zeichnete ich die Häuser gegenüber der Bank oder den Obstverkäufer, wie er mit Gewichten auf seiner Waage Melonen oder Pfirsiche abwog.
Da blieb ein junger Mann stehen, sprach mich an und setzte sich bald zu mir. Ihm war meine Ruhe aufgefallen und mein Interesse an der Gasse. Wir stellten uns vor, plauderten ein bißchen, und nach spätestens 5 Minuten fragte er mich nach Gott. Ob ich an ihn glaube. Denn er hatte noch kaum Christen kennengelernt, die an ihren Gott glaubten. Er war sichtlich erfreut über meine Antwort, und er stellte die zweite Frage: An wie viele Götter glaubst du? Und wer ist Jesus?
Er versicherte mir, wie sehr er Isa schätze und verehre, ein großer, vielleicht der größte Prophet vor Mohammed. Aber dass er Gott sei? Dann hätten wir zwei Götter.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir über die Trinität gesprochen haben an diesem Vormittag, aber bis zum Abend hatte Mehmet mir den großen Basar gezeigt, die Suleimanja-Moschee, wir waren essen gewesen in einem schattigen Nebengäßchen und hatten uns in einem Hamam ausgeruht, mit türkischer Massage und Apfeltee, wie es sich gehört. Meine erste Begegnung mit der Millionenstadt hatte mich vor die Dreifaltigkeit geführt, vor das Eigentlichste meines christlichen Glaubens, und hatte mir selber die Brisanz dieses Glaubens vor Augen geführt.

2. Unser christliches Abendland hat das Systemdenken hervorgebracht in einer Zeit, die wir Aufklärung nennen. Seither wurde die Erde mit Nationalstaaten überzogen, in politische Systeme aufgeteilt, von unserem Wirtschaftssystem erschlossen und von Waffensystemen gesichert. Systeme versuchen, eine Einheit herzustellen, wo Dinge verschieden sind. Wenn z.B. in einem Land Menschen verschiedener Sprache leben, schon seit Jahrhunderten, so versucht der Nationalstaat, durch die Landessprache eine Einheitlichkeit zu erzeugen, welche die Verschiedenheit übersteigt und zuletzt aufhebt. Der freie Markt verlangt, dass alle Firmen ihre Waren zum Kauf anbieten können, ohne Einschränkungen. Die großen Firmen schlucken die kleineren und bieten alsbald unter verschiedenen Namen immer gleiche Produkte an. Unser Kritischer Konsument-Plakat der Ökogruppe hat z.B. im Mai gezeigt, wie 99,1 % von dem Fleisch, das in Österreich gekauft und gegessen wird, aus Massentierhaltung stammt, von Tieren, die nie die Sonne gesehen haben.
Die Bibel spricht dagegen von einer ganz anderen Art von Einheit: Ich und der Vater sind eins. Aber verschieden. So verschieden, dass der Vater den Sohn dahingibt, in den Tod gibt, in die äußerste Gottesferne, dorthin, wo jede Freiheit endet. Auch die Gottes. So riesig ist die Spanne Gottes, vom Inbegriff des Lebens und Seins bis zum Tod und dem Nichts. Gottes Liebe ist das Herschenken, das Hergeben. Der Abschied, der dennoch niemals aus der Nähe führt. Denn die Getrennten sind im Gebet vereint. Oder anders gesagt: Das Gebet ist eine Art, wie die Getrennten eins sind. Ebenso die Hoffnung, das Vertrauen, die Taten der Liebe. Die Verschiedenheit, sogar die Trennung, ist also Voraussetzung der Liebe. Und die Liebe ist der Geist.

3. Wie kann eine Gemeinde wachsen, die der Dreifaltigkeit geweiht ist. Sie wird wohl Verschiedenheit schätzen, die Verschiedenheit der Dienste, der Priester und der Laien, der Frauen und der Männer, der Jungen und der Alten. Und die einen werden sich an den anderen freuen, dass sie so sind, wie sie sind. Dass nicht alle so sein müssen wie wir. Aber nicht in Gleichgültigkeit: mach, was du willst, mir egal. Sondern in Sorge: werden das richtige Wege sein, richtige Antworten. Werden wir nichts Wichtiges übersehen. Die Gemeinde der Dreifaltigkeit wird riesige Energien freisetzen, wenn ihre Einheit noch größer ist als die Verschiedenheit. Wenn sich sogar ganz Fromme einigen können mit den Ungläubigen, und wenn Liebende einen Weg finden mit den Gleichgültigen zusammen.
Aber das, ihr Gläubigen, braucht die Geistesgaben, nur der Geist gibt solche Einheit. Seht nur die Schwäche unserer geteilten Kirche an, all die Eifersüchteleien und Vorbehalte. Bittet um den Geist, ihr Gefirmten und Nochnichtgefirmten, dass er uns zusammenführe. Alle.

Franz und der Sultan

Drama in 7 Aufzügen


Bühne: Am Boden ist eine große Spirale, oder wenn möglich so wie ein Mühle-Spielbrett. Die erste Szene beginnt nahe der Mitte, jede spätere Szene ist weiter außen, sodass die Darsteller sich kreisförmig immer weiter von der Mitte wegbewegen. Die einzelnen Schauplätze sind dabei einander gegenüberliegend. Zwischen den Szenen überqueren alle Darsteller, auch mehrere Musikanten, vielleicht sogar das Publikum, die Bühne wie Passanten, ohne sich um Bauten oder Markierungen zu kümmern. Damit wird die Bodenmarkierung zu einer Art Geheimplan, den nur einige erkennen und befolgen, andere aber geflissentlich übersehen.


1

Franz
Bruder Bernhard
Bruder Ägidius
Bruder Philippus


Alle sitzen um einen Tisch. Die Gewänder sind kostbar und flott. Am Tisch stehen die Reste eines üppigen Mahles, Becher und Weinkannen. Die Musiker stehen neben dem Tisch.

Franz: Komm, trink mit mir!
Bernhard: Ich hab schon genug!
Franz: Es ist nie genug! Wie wollen wir sonst die schöne Musik beantworten und die laue Mondnacht, Freunde?
Bernhard: Also gut, du hast recht. Schenk ein.
Franz: Kannst du uns nicht ein wenig tanzen?

Einer tanzt zur Musik.

Ägidius: Franz, was wird der morgige Krieg bringen?
Franz: Ehre, mein Freund, Sieg und Ehre, was sonst! --- Denkt nicht an morgen, Freunde. Heute muß die Nacht genossen werden.
Ägidius: Franz, was macht dich so sicher?
Franz: Hast du Angst, mein Freund? Ängstliche sollen nicht in den Krieg ziehen.
Ägidius: Was macht dich so sicher, dass wir siegen gegen Perugia, die reiche und große Stadt?
Franz: Meine Kleider, Freund, mein heutiges Festkleid. Und der köstliche Wein. Zum Wohl!
Ägidius: Franz, das reicht nicht.
Franz: Doch, es reicht.

Philippus: Na, ihr beiden, warum so ernst? Habt ihr den Himmel gesehen?
Bernhard: Ist das der Mars dort?
Philippus: Ja, das ist der Mars. Genau gegenüber der Venus. Entweder Krieg oder Liebe.
Franz: Morgen jedenfalls Krieg. Und dann werden wir weitersehen. Tanz doch noch einmal!

2


Franz
Vater
Mutter
Bischof


Ein Verlies. Franz allein, nachdenkend.

Franz: Wie soll ich ihnen das erklären. Ich mußte das tun. Wenn sie diese Kirche gesehen hätten. So gesehen wie ich. Völlig verfallen, und zwischen den Trümmern der Pfarrer, der versucht, eine Messe zu feiern. Mit den wenigen, armen Leuten. Das war nicht auszuhalten. Das müßt ihr doch verstehen, Vater, Mutter, versteht doch!
Mutter tritt auf Ja, Franz, da bist du ja!!
Franz Mutter!
Mutter Franz, was ist denn geschehen? Ist es wahr?
Franz Ja Mutter. Es stimmt, ich habe alle Stoffballen verkauft.
Mutter Warum denn das? Was ist in dich gefahren, Franz, wie konntest du das machen? Dein Vater hat sich zu Tode aufgeregt.
Franz Ich weiß, Mutter, ich weiß ja. Das wird er nicht verstehen.
Mutter Ich versteh es auch nicht. Erklärs mir, Franz
Franz Mutter, diese alte Kirche muß wieder aufgebaut werden!
Mutter Das soll der Bischof machen
Franz Der Bischof kommt dort nicht hin
Mutter Aber warum du?
Franz Christus hat mich dort angeschaut, Mutter
Mutter Franz, was sagst du da. Unser Herr wird doch nicht in einer Kirchenruine wohnen
Franz Denkst du das? Und wenn der Priester dort Messe feiert? Ist der Herr dann nicht da, wenn sich die paar Alten dort versammeln in seinem Namen, und der Herr sich schenkt in Leib und Blut?
Mutter Na ich weiß nicht
Franz Du willst nicht glauben, dass sich unser Herr so klein macht?
Mutter Du meinst, er tut das?
Franz Aber ob es würdig ist. Ob wir seiner wert sind, wenn wir die Kirche verfallen lassen
Mutter Na gut, du hast ja recht. Lass uns zum Bischof gehen. Und gib deinem Vater das Geld wieder zurück
Franz Nein. Das tu ich nicht. Es gehört Gott
Mutter Was sagst du da

Vater tritt auf mit Getöse Wo ist der Dieb! Wo ist der Dieb!
Franz Hier bin ich
Vater Wo ist das Geld! Auf der Stelle das Geld
Franz Nein
Vater Was fällt dir ein! Bist du von Sinnen?
Franz Es gehört dir gar nicht, Vater. Es gehört den Armen. Sie hat Gott erwählt, nicht uns Geschäftemacher
Vater Du bist verrückt geworden. Mein Sohn ist verrückt geworden. Nimmt mein Geld und verschenkt es. Ich werde dich einsperren. Bei Brot und Wasser. Und dann, dann wirst du arbeiten. Ich hab dich viel zu sehr verwöhnt. Hättest schon früher arbeiten sollen. Damit du weißt, was das Geld wert ist. Wer sich nicht anstrengt, weiß das nicht. Du wirst mir arbeiten, Sohn, bis du das Geld wieder verdient hast. Und wenn es zwanzig Jahre sind.
Mutter Vater, denk doch, Vater, es ist dein Sohn!
Franz Nichts werd ich tun. Sperr mich ruhig ein. Keine Hand rühr ich für Geld. Was soll das wert sein, Stoffe kaufen, wieder verkaufen an reiche Leute. Das hier. Das zählt. Diese Kirche wieder aufbauen. Eine Schande, dort den Herrn feiern zu müssen, während es hereinregnet. Das gehört repariert
Vater Da, du hörst es. Er ist von Sinnen. Mutter, wen hast du da großgezogen. Das kann nicht mein Sohn sein
Mutter Vater, was sagst du da!
Franz Ganz recht, ich kann nicht dein Sohn sein. Von einem Tuchhändler, der nur an Geld denkt, während Menschen vor seiner Tür verhungern und der Herr in einer Ruine wohnen muß
Vater Hörst du, was er sagt! Ich nehm ihm das Tuch weg, das er am Leib trägt, auf einmal verachtet er’s, bisher hat er geprahlt damit vor seinen Leuten, war der vornehme Mann, immer im Mittelpunkt, immer mit flotten Sprüchen, solange ich ihm das Geld gegeben habe. Aber damit ist jetzt Schluß. Er weiß es nicht zu schätzen. Er verdient es nicht. Mutter, dieser kann nicht mein Sohn sein
Mutter Herr Bischof, oh Herr Bischof, bringen Sie den Franz zur Vernunft, er versündigt sich an uns!
Bischof tritt auf Nun, habt ihr ihn endlich gefunden? Ist er wohlauf?
Mutter Exzellenz, unser Sohn ist von Sinnen
Bischof Aber Franz, was fehlt dir denn?
Franz Exzellenz, mein Vater mißachtet den Herrn, er lästert Gott
Vater Hör dir das an
Bischof Franz, hast du ihm das Geld zurückgegeben?
Franz Exzellenz, damit wird die Kirche aufgebaut
Bischof Aber Franz, was sagst du da. Du gehörst zu deinem Vater. Mach Frieden mit ihm.
Vater Er denkt nicht daran. Hat noch nie gearbeitet. Der Nichtsnutz. Geht prahlen mit meinem Geld. Sich wichtig machen
Franz Dieser kann nicht mein Vater sein, ich sehe das jetzt. Nur einen Vater gibt es, den im Himmel.
Vater Er versündigt sich. Sperr ihn ein, schlagt ihn.
Franz Mann, da hast du dein Geld. Da ist dein Gewand. Da, nichts will ich von dir haben.
Zieht sich aus, wirft dem Vater alles vor die Fuße


3


Franz
Gepetto





Gepetto liegt auf einem ausgebreiteten Zeitungspapier, diverse Utensilien in Plastiksäcken in der Nähe.
Franz tritt auf

Franz Ich glaube, sie werden das nie verstehen.
Gepetto stutzt Verstehst du es denn?
Franz lacht Gute Frage, gnädiger Herr. Nein, wahrscheinlich versteh ich es selbst nicht. --- Was sagst du da überhaupt? Kennst du mich denn?
Gepetto Kennen ist übertrieben. Aber wenn so ein vornehmer Herr daher kommt
Franz Vornehm? Gerade hab ich meine Kleider hergegeben
Gepetto Das Tuch, in das du dich hüllst, so was tragen hier die Aussteiger
Franz Gibt es viele solche?
Gepetto Immer wieder. Streiten mit dem Vater, tauchen unter ein paar Tage, und organisieren sich dann einen Job, um unabhängig zu sein.
Franz Ich suche keinen Job
Gepetto Wie wärs mit Reisen? Du solltest andere Länder sehen, andere Menschen, damit du loskommst von deiner spießigen Familie
Franz Daran hab ich noch nicht gedacht
Gepetto Also doch
Franz Aber darum geht es nicht. Ich brauche keine Existenz gründen. Ich will etwas anderes
Gepetto Soweit hast du noch nicht gedacht. Aber es wird einmal nötig sein. Du kannst ja nicht immer von der Hand in den Mund leben. Du wirst heiraten und eine Familie gründen wie alle, viele Bambinis, und die wollen täglich was zu essen haben.
Franz Nein, so denke ich nicht
Gepetto Jetzt noch nicht
Franz Nein, das interessiert mich nicht. Es muß etwas anderes geben
Gepetto Das sagen viele
Franz So will ich es versuchen
Gepetto Dann wirst du so enden wie ich
Franz Warum nennst du das ein Ende
Gepetto Wer so lebt wie ich, hat nichts mehr zu erwarten
Franz Wer sagt das? Du hast ja alles zu erwarten. Denn du hast nichts. Also hast du alles zu erwarten!
Gepetto Du machst dich über mich lustig. Ja, darauf kann ich warten, ob heute oder morgen einer kommt und mir zu essen gibt.
Franz Weißt du, was du da tust?
Gepetto Ja, betteln. Was ist das schon. Und frieren, husten, hungern. Und das Jucken auf der Haut aushalten.
Franz Dann weißt du also, dass Gott es ist, der dich nährt?
Gepetto Ist vielleicht der schuld daran, dass ich kein Dach über dem Kopf habe und keine tägliche warme Mahlzeit?
Franz Nein, er ist es, der dir täglich einen schickt, der dir zu essen gibt
Gepetto Täglich nicht einmal
Franz Ich lerne viel von dir
Gepetto Du machst dich lustig
Franz Hast du noch Platz hier?
Gepetto Du meinst in meinem Appartement?
Franz Lass mich hier bleiben, ich will von dir lernen, mich von Gott nähren zu lassen
Gepetto Da wirst du aber einige Kilo verlieren
Franz Insgeheim hab ich immer gewußt, dass Gott für einen sorgt
Gepetto Einen besser, einen schlechter
Franz Lass dich umarmen, Freund, dass du mir Gottes Vorsehung zeigst umarmt ihn
Gepetto Jetzt weiß ich, wozu ich so lang studiert hab diese Armut
Franz legt sich neben ihn auf die Zeitung







4


Franz
Bruder Bernhard
Bruder Ägidius
Bruder Philippus


In einer Scheune zusammen gekauert, in arme Gewänder gekleidet, die Gefährten mit Franz.


Bernhard: Franz, hast du gemerkt, wie dieser reiche Mann nicht an uns vorüber gehen konnte?
Phillippus: Er konnte wohl unseren armseligen Anblick nicht ertragen.
Ägidius: Brüder, merkt ihr nicht, wie wir alle von Gott geführt werden? Was soll uns schon geschehen?
Phillippus: Na ob das so einfach ist?
Franz: Gewiß führt Gott uns. Er hat uns ja schon aus diesem nichtsnutzigen Leben herausgeholt und unter die Armen versetzt, wo wir nun ALLES von ihm zu erwarten haben. Aber Brüder, denkt nicht, dass es immer so gut ausgehen wird wie heute.
Ägidius: Wenn Gott uns hierher führt, dann sorgt er auch für uns. Schließlich haben wir für ihn alles verlassen und sind ihm gefolgt.
Franz: Bruder, höre: Dass wir nun in Armut leben, ganz von der Vorsehung – das ist doch nicht unser Verdienst! Wir sollen Buße tun für unser früheres Leben, hörst du!
Ägidius: Meinst du, drei Kirchen wieder aufbauen reicht noch nicht?
Franz: Gott schenkt Versöhnung.
Bernhard: Aber Franz, wird das immer so sein? Dass uns jemand zu essen gibt und ein Dach? Man kann sich doch nicht darauf verlassen. Und es gibt doch so viele Arme. Brauchen die nicht noch dringender Hilfe als wir?
Phillippus: Der Bischof hat uns ein Haus angeboten, damit wir eine Bleibe haben. Wir könnten am Feld arbeiten, uns selbst versorgen und dann den Armen in Assisi noch viel besser helfen.
Franz: Siehst du, das ist die Versuchung zur Bequemlichkeit. Das ist immer praktischer. Aber da machst DU deinen Plan mit Gott. Ich aber will auf Gottes Plan mit mir achten.


5


Franz
Bischof
Papst


In den vornehmen Hallen der päpstlichen Kurie.


Bischof: Lieber Franz, welche Überraschung, dass du nach Rom kommst. Das hätte ich nicht erwartet, da du doch das einfache Leben viel mehr schätzt.
Franz: Herr Bischof, danke für die Begrüßung, ich habe einen Auftrag. Ich will den Papst sprechen.
Bischof erschrickt: Was du nicht sagst. Brauchst du Geld? Habt ihr gestritten?
Franz: Ich bitte eure Exzellenz um eine Audienz bei Seiner Heiligkeit.


Papst auf dem Thronstuhl: Du bist dieser Franziskus, der freiwillig mit den Armen lebt und Gefährten um sich sammelt?
Franz: Eure Heiligkeit, danke, dass ihr mich empfangt.
Papst: Ich habe gehört, dass du alte, verfallene Kirchen wieder aufbaust. Wie denkst du über die Kirche in der heutigen Zeit?
Franz: Dass sie nicht genug auf Gott vertraut.
Papst: Meinst du die Kirchenleitung?
Franz: Die meisten Christen. Setzen sich selber an Gottes Stelle. Tun den eigenen Willen, fragen nicht nach Gott.
Papst: Das ist wahr. Ich habe gehört, du und deine Gefährten, ihr zieht durchs Land wie Bettler. Das könnte dem Ansehen der Kirche schaden.
Franz: Wenn das Vertrauen auf Gottes Vorsehung dem Ansehen der Kirche schadet, dann verliert sie nicht viel.
Papst: Vielleicht möchtest du eine eigene Kirche gründen?
Franz: Es gibt nur eine Kirche, und kann nur eine geben. Denn Christus ist doch für alle gestorben, die an ihn glauben.
Papst: Und weißt du, wer erlöst ist? Fühlt ihr euch als die Auserwählten?
Franz: Nur Gott weiß es. Aber unser Herr Jesus Christus ist zu den Armen und den Sündern gegangen. Über ihre Umkehr freut sich der Himmel.
Papst: Gewiß, gewiß.
Franz: Wir haben Buße zu tun, Eure Heiligkeit, und folgen in Armut Christus nach, wie er geboten hat. Und er führt uns durch die heilige Kirche, durch Menschen und durch seine Vorsehung. Das ist uns klar geworden.
Papst: Nun, dagegen läßt sich nichts einwenden. Was soll man gegen das Evangelium einwenden.
Franz: Ich bitte Eure Heiligkeit, unsere Gemeinschaft zu bestätigen.
Papst: Was soll man gegen das Evangelium einwenden




6


Franz
Phillippus
General


Im Lager vor den Toren einer orientalischen Stadt

Phillippus: Sind wir nun so weit gegangen, um zuletzt wieder Krieg zu führen? Wenn auch nicht mehr gegen die Nachbarstadt, sondern diesmal gegen die Ungläubigen?
Franz: Das sei uns fern, Bruder. Krieg kann niemals richtig sein.
Phillippus: Aber wir sind hier im Hauptquartier der christlichen Kreuzfahrer!
Franz: Ich will den General sprechen.

General: Seid willkommen, Botschafter der Heimat! Hat der Papst euch hergesandt in das Land der Ungläubigen?
Franz: Wir gehen, wohin Gott uns führt. Schon lange sehnte ich mich nach der Heimat unseres Herrn Jesus Christus.
General: So kommt ihr als Pilger, nicht als Krieger.
Franz: Ganz recht, aber sagt ihr das nicht auch von euch selbst?
General: Wie kann man fromm sein, wenn man Krieg führen muß?
Franz: Du sprichst mir aus der Seele, General.
Warum hast du dieses gewählt?
General: Mich sendet die Kirche. Du weißt, der Papst befiehlt den Kampf gegen die Ungläubigen und die Befreiung der heiliges Stätten in Jerusalem.
Franz: Aber hier ist nicht Jerusalem. Du bekämpfst den Sultan in dessen Heimat.
General: Er verleugnet unseren Herrn.
Franz: Weißt du das sicher?
General: Sie schimpfen uns Holzanbeter.
Franz: Ich werde ihn fragen
General: Bist du verrrückt?



7


Franz
Phillippus
Wachen
Sultan


Im Lager des Sultan. Die Brüder werden von Wachen vor den Sultan geführt.

Wachsoldat: Diese Spione wollten unser Lager überfallen!
Sultan: Zu zweit?
Wache: Sie wollten uns belauschen!
Sultan: Wie habt ihr sie gefunden?
Wache: Sie kamen direkt auf uns zu!
Sultan: Das sind keine Spione. Lass sie los.
(zu den Brüdern) Wer seid ihr?
Franz: Wir sind Pilger aus Italien.
Sultan: Aber hier ist ein Heerlager, kein Heiligtum.
Franz: Ich will dich sprechen, Sultan.
Sultan: Hast du keine Angst? Deine Leute kämpfen gegen uns.
Franz: Ich habe gehört, ihr betet auch zu Gott. Warum soll ich mich fürchten?
Sultan: Das stimmt, wir beten fünf Mal am Tag.
Franz: Auch die Soldaten?
Sultan: Alle. Der Ausrufer zeigt uns, wann Zeit ist.
Franz: Was wißt ihr von Gott?
Sultan: Dass er zu den Menschen spricht. Durch die Propheten, die auch ihr verehrt, und durch den letzten Propheten, den allein wir verehren, gepriesen sei er. Und dass er unser Gebet erhört. – Und was wißt ihr von ihm?
Franz: Dass er Mensch geworden ist in Jesus. Dass er als Mensch gelebt hat, dass er gestorben ist am Kreuz aus Liebe zu uns. Und dass er auferstanden ist, um Sünde und Tod zu vernichten.
Sultan: Der Schöpfergott und der Menschengott. Das sind doch zwei Götter!
Franz: Es ist derselbe, Sultan.
Sultan: Wie auch immer, beide beten wir.
Franz: Glaubt ihr auch, dass Gott jeden Menschen führt nach seinem Plan?
Sultan: Inschallah, er tut es.
Franz: Aus Liebe?
Sultan: So ist es. Sag mir, bist du ein Sufi? Ein Heiliger der Wüste?
Franz: Ich bin einer, den Gott so arm gemacht hat, dass er auf ihn hören gelernt hat.
Sultan: Vermisst du das bequeme Leben?
Franz: Gottes Nähe allein ist Reichtum für den Menschen.
Sultan: Wirst du mit den Soldaten kämpfen?
Franz: Ein Kämpfer bin ich schon, für die Liebe zu Gott und den Menschen. Die wird von großen Versuchungen bedrängt.
Sultan: Und die dort mit den Schwertern? Wovon werden die versucht?
Franz: Sie glauben, dass die Kirche groß sein muß. Mächtig und sicher.
Sultan: Ist deine Kirche von uns, die ihr Ungläubige nennt, gefährdet?
Franz: Die Pilgerstätten. Jerusalem, das heilige Land.
Sultan: Wenn es euch nur darum geht
Franz: Es geht um den ganzen Glauben. Dass Gott seine Gläubigen führt und ihnen den rechten Weg zeigt.
Sultan: Führt er euch?
Franz: Ich bete. ---

Sultan zu den Wachen: Gebt ihnen zu essen! Bringt ihnen schöne Gewänder und Geschenke! (Die Brüder nehmen nichts an)
Franz zu Phillippus: Fünf Mal täglich beten sie, hast du gehört! Das sollten wir auch tun!

Sultan bei sich: Wenn ich bei uns solchen Glauben fände
Franz bei sich: So nah ist Gott uns in seinem Sohn, dem wir nachfolgen – und doch ist er uns noch fremd! Wieviel müssen wir noch lernen über ihn! Besonders die Liebe, Bruder, besonders die Liebe

Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde.

Hebr 11,8

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